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Unbekannt verzogen: Roman

Unbekannt verzogen: Roman

Titel: Unbekannt verzogen: Roman
Autoren: Tom Winter
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kannst dir nicht vorstellen, wie mich das belastet hat. Gestern habe ich dir sogar einen Brief geschrieben und im Garten verbrannt.«
    »Dann ist es ja kein Wunder, dass ich ihn nicht bekommen habe.«
    »Pass auf, deine Mutter in deinem Traum, das bist du selbst. Dein Unterbewusstsein sagt dir, dass dein altes Leben vorbei ist. Du sollst dich endlich so akzeptieren, wie du bist.«
    »Ach ja? Wie bin ich denn? Und vor allem was ? Eine komplette Niete?«
    »Carol …«
    »Und ein selbstsüchtiges Aas?«
    »Unsinn, du bist nichts dergleichen.«
    »So fühle ich mich aber.«
    »Weil du weggelaufen bist. Die Dinge kommen nicht wieder ins Lot, nur weil man sich vier Stunden in einen Flieger hockt.«
    »Ich kann nicht wieder zu ihm zurück.«
    »Das sag ich doch auch gar nicht. Du kannst gern eine Zeitlang bei mir wohnen, so lange du willst.« Schweigen. »Und keine lesbische Anmache, versprochen. Komm erst mal zurück, und dann überlegen wir gemeinsam, wie es weitergehen soll, so nach und nach.« Immer noch keine Antwort. »Ich hätte schon viel früher etwas sagen sollen. Es tut mir leid …«
    »Ist schon in Ordnung.«
    »Nein, ist es nicht. Ich hatte solche Angst, dich zu verlieren, dass ich dich lieber in einen Käfig gesperrt hätte. Obwohl du so unglücklich warst, habe ich immer nur an mich gedacht …« Ihr versagt die Stimme. »Allein der Gedanke, dass du für immer weggehst … Das war einfach zu viel für mich.«
    Stille an beiden Enden der Leitung. Zwei Frauen, die lautlose Tränen weinen, während der Telefonzähler verrücktspielt.
    »Hab ich alles vermasselt?«, schnieft Carol.
    »Na, genial war es sicher nicht. Aber es ist ja schließlich nicht so, als ob du jemanden umgebracht hättest.«
    »Ich konnte einfach nicht mehr bleiben.«
    »Ist schon okay, Carol, wirklich. Ich weiß noch nicht, wie, aber irgendwie kriegen wir es wieder hin.«

66
    Nach nicht einmal einer Woche in der Geborgenheit seines Krankenbettes kommt Albert die Welt draußen immer gefährlicher und unberechenbarer vor, bis es ihm fast davor graut, entlassen zu werden.
    »Keine Sorge, das ist ganz normal«, meint Pat, während sie ihm beim Packen hilft. »Seien Sie erst mal wieder zu Hause, dann gewöhnen Sie sich schnell wieder ein.«
    Sie mag wohl recht haben, aber ganz so einfach ist es dann doch nicht. Als Pat ihn vor seiner Haustür abgesetzt hat und sein Gepäck aus dem Auto holt, ist ihm beklommener zumute denn je. Düster ragen die Wohntürme um ihn auf, grau und bedrohlich, Glasscherben und Graffiti überall.
    »Trautes Heim, Glück allein«, sagt Pat ohne den leisesten Anflug von Ironie. »Ich glaube, Sie werden oben schon erwartet.«
    »Gloria? Ist sie schon da?«
    Die Freude auf das Wiedersehen mit Gloria macht ihm sogar den verdreckten Fahrstuhl erträglich. Als sich die Tür auf Alberts Etage öffnet, sieht er sich Max gegenüber – eine seltsam tröstliche Erinnerung daran, dass das Leben weitergeht.
    »Das ist mein Nachbar«, will Albert ihn Pat vorstellen. Er winkt ihm fröhlich zu, aber Max scheint ihn nicht zu erkennen. Blitzschnell huscht er zurück in seine Wohnung, wie ein furchtsames Tier in seinen Bau. Hinter seiner Tür ist es totenstill, nur die schreienden Farben der Blumen knallen einem entgegen.
    Ein vom Krieg getrenntes Liebespaar hätte keine größeren Gefühlsaufwallungen an den Tag legen können als Albert beim Wiedersehen mit Gloria, aber er schämt sich seiner Rührung nicht. Diese Katze ist sein Leben.
    »Wir wären fast zusammen gestorben, wir zwei beide! Was für ein Abenteuer!« Während er sie streichelt, fällt sein Blickauf die Wand über dem Fenster. »Der Wasserschaden ist ja weg!«
    »Wenn Sie wieder mal irgendwas gerichtet haben wollen, rufen Sie mich einfach an.«
    »Ich weiß überhaupt nicht, wie ich Ihnen danken soll.« Dass der übermalte Fleck eine ganz andere Farbe hat als der Rest der Wand kann ihn nicht im Geringsten erschüttern. »Aber eins verrate ich Ihnen jetzt schon: Der Weihnachtsmann bringt Ihnen ein Päckchen.«
    »Solange Sie mir keinen Pullover stricken – die krieg ich schon dauernd von meiner Schwester.« Sie muss weiter. »So weit scheint mir hier ja alles in bester Ordnung, junger Mann. Ich komme in ein, zwei Tagen noch mal vorbei, um nach Ihnen zu sehen.«
    »Dann lade ich Sie zu Tee und Kuchen ein.«
    Pat strahlt. »Einem Stück Kuchen konnte ich noch nie widerstehen.« An der Tür dreht sie sich noch einmal um und setzt eine strenge Miene auf. »Und immer schön
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