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Unbekannt verzogen: Roman

Unbekannt verzogen: Roman

Titel: Unbekannt verzogen: Roman
Autoren: Tom Winter
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wird.
    Noch fünf Minuten.
    Ich sage es ihm.
    »Ich wollte gleich noch weg.«
    »Ja?« Er blickt kurz auf, zerstreut und einsilbig.
    »Kommst du allein zurecht?«
    »Klar.«
    Er wendet sich wieder dem Computer zu, um Heldentaten in einer Welt zu vollbringen, in der alles viel einfacher ist als im richtigen Leben.
    »Also gut … dann … bis dann.«
    Sie steht auf und zögert noch einen Moment. Kann sie es wirklich durchziehen? Aber Bob hat nur noch Augen für seinen Bildschirm.

64
    Der geregelte Ablauf des Krankenhauslebens erinnert Albert an seine Zeit beim Militär. Sie werden zwar nicht um fünf Uhr morgens mit einem Hornsignal geweckt, und er muss auch nicht selber sein Bett bauen, aber der Tag hat eine so präzise Einteilung, dass er allein anhand der Geräusche die Zeit schätzen kann: die Ärzte, die ihre Visiten machen, die Mahlzeiten, die ausgeteilt werden, die Besucher, die kommen und gehen.
    Weil Pat heute verhindert ist, hat er sich den Vormittag mit einem Buch aus der Patientenbücherei vertrieben – Der Mann in der eisernen Maske –, doch je mehr er darin liest, desto unpassender erscheint es ihm für Leute wie ihn, die doch eigentlich selber Gefangene sind.
    »Na, schön am Schmökern, Albert?«
    Darren steht neben seinem Bett. Er wirkt etwas verloren ohne sein Klemmbrett und sein Chefgehabe, außerdem irgendwie steif, als habe er ihm eine wichtige Mitteilung zu machen – zum Beispiel, dass die Leute vom Sozialdienst Carols Briefe gefunden und die Sache an die zuständigen Stellen weitergeleitet haben. Der Gedanke löst einen solch heftigen nervösen Hustenanfall bei ihm aus, dass das ganze Bett davon klappert.
    »Ist alles in Ordnung?«
    »Wie meinst du das?«, keucht Albert.
    »Du liegst im Krankenhaus, Albert. Es hieß, du wärst fast gestorben.«
    »Ach, das!« Er atmet auf. »Nein, nein, mir geht’s gut. Es war bloß eine Erkältung.«
    Schweigen. Darren wirkt immer noch angespannt. »Tja, also, eigentlich bin ich in offizieller Mission hier.«
    Als er sich um den Vorhang herumbeugt und nach etwas greift, das Albert nicht sehen kann, bekommt der es erneut mit der Angst zu tun. Doch Darren hat plötzlich ein großes Paketin der Hand, in buntes Papier eingeschlagen und mit rosa Ringelschleifchen verziert, viel zu feminin für einen Mann.
    »Das hat eine von den Mädels aus der Verwaltung eingepackt«, sagt er laut genug, dass alle im Zimmer es hören können.
    »Wirklich hübsch.«
    »Es ist auch eine Karte dabei, alle haben unterschrieben. Wir hätten vielleicht eine Genesungskarte nehmen sollen, aber die hier machte längst die Runde, als wir die Nachricht bekamen. Wär doch schade um das gute Papier.«
    »Nein, nein, die ist sehr schön. Wer will denn schon daran erinnert werden, dass er krank ist?«
    »Na ja, ein paar Leute haben auch Gute Besserung draufgeschrieben.«
    »Ach so, natürlich, was zählt, ist ja schließlich die gute Absicht, nicht?«
    Er besieht sich die hingekritzelten Grüße. Viele sind so schwer zu lesen, dass er wohl den Rest seines Lebens brauchen wird, um sie zu entziffern. Nur Mickeys Beitrag springt ins Auge, die Handschrift ebenso klar wie die Botschaft: »Denk dran, du bist schon fast tot. Mach dir ein paar lustige letzte Jährchen.«
    »Nett, sehr nett«, nickt Albert. »Vielen Dank.«
    »Tja, weißt du … Es tut einem ja immer leid, wenn jemand krank ist, besonders wenn er auch noch alt ist, also haben wir ein bisschen was gesammelt …« Er händigt Albert einen Umschlag aus. Unten drin klimpern ein paar Münzen, doch der Rest besteht aus einem dicken Packen Banknoten. Albert bleibt der Mund offen stehen.
    »Nur eine kleine Aufmerksamkeit. Zusätzlich zu den dir zustehenden Pensionsbezügen. Um die wird sich die Finanzabteilung kümmern.«
    »Ich bin sprachlos.«
    Darren wirkt merklich entspannter, entweder weil Alberts Dankbarkeit ihn rührt oder weil sich sein Besuch dem Ende zuneigt. »Du hast ja dein Geschenk noch gar nicht aufgemacht.«
    Albert wird rot. Dass ihm jemand so viel Zuwendung schenkt, ist er überhaupt nicht gewöhnt. Er hält das Päckchen hoch, drückt vorsichtig drauf. Unter dem schimmernden Geschenkpapier fühlt es sich weich an.
    Als er das Papier zurückschlägt, kommt eine Manschette zum Vorschein, dann ein Kragen. Albert hält staunend inne.
    Eine nagelneue Uniformjacke.
    »Wir dachten uns, du könntest eine neue gebrauchen. Da hast du bestimmt noch mal vierzig Jahre was davon.«
    Albert bekommt feuchte Augen. Darren lächelt sogar,
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