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Umgang mit Groessen - Meine Lieblingsdichter - und andere - Herausgegeben und mit einem Nachwort von Karl Heinz Bittel

Umgang mit Groessen - Meine Lieblingsdichter - und andere - Herausgegeben und mit einem Nachwort von Karl Heinz Bittel

Titel: Umgang mit Groessen - Meine Lieblingsdichter - und andere - Herausgegeben und mit einem Nachwort von Karl Heinz Bittel
Autoren: Walter Kempowski
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aufgeklärte, äußerst kluge Kopf, der zweiundzwanzig Shakespeare-Dramen erstmals ins Deutsche übersetzte, auch satirische Romane schrieb und etwas so Graziles wie die Verserzählung »Musarion«, die an Leichtigkeit, Witz und Esprit in unserer Literatur bis heute ihresgleichen sucht. Den deutschtümelnden Studenten des Göttinger Hainbundes um Boie, Voß und Stolberg war der Rokokodichter wegen dieser Tändeleien ein »Sittenverderber«, ein »Priester der Geilheit«. Sie drehten sich Fidibusse aus seinen Dichtungen, zündeten ihre Pfeifen damit an, schimpften auf den »Hundsfott« und verbrannten sein Bild.

    Uns ist er untrennbar verbunden mit Goethe, Schiller und Herder, die Quadratur des Kreises, die für hundertfünfzig Jahre das bezeichnete, was man unter deutscher Kultur verstand. Der in einen blauen Rock gekleidete, mit Hoforden geschmückte Minister, der fistelstimmig schreiende, hustende Historiker, der Superintendent mit der Tränenfistel und der »Französling« Wieland, mit blauem Turban.
    Seine »Geschichte des Agathon« erschien 1766/67. Das Buch ist reich an Anspielungen und Zitaten aus der antiken Literatur. Wieland zeigt sich auf der Höhe der Philosophie seiner Zeit. Er schrieb den ersten modernen Bildungs- und Entwicklungsroman in Deutschland, der Vorläufer war von Karl Philipp Moritz’ »Anton Reiser« und Goethes »Wilhelm Meisters Lehrjahre«. Von den Rezensionen, die es an Verständnis mangeln ließen, war er enttäuscht. An die Adresse seiner Landsleute gerichtet, schrieb er: »Setsame Nation, wer würde für dich arbeiten wollen, wenn der Reiz der Musen nicht mächtiger wäre als deine Indolenz.« Ein Satz, der auch heute noch Geltung beanspruchen könnte.
    Die »Geschichte des Agathon« ist das Hauptwerk in einem ungeheuer produktiven Leben. Wieland übersetzte Horaz, Lukian, Cicero, Shakespeare, gab Zeitschriften heraus, die sich mit dem kulturellen Leben beschäftigten, philosophische Diskussionen austrugen, über die Frage des Weltbürgertums etwa. Auch aktuelle politische Angelegenheiten
wurden aufgegriffen, damals noch eine Seltenheit. Die Diktatur Napoleons hat er, von Goethe verspottet, 1797 vorausgesagt. Auf dem Erfurter Fürstentag im Oktober 1808 ließ der Usurpator ihn dann holen und sprach eineinhalb Stunden mit ihm.
    Aus dem Getriebe der Residenz zog sich Wieland im Alter zurück und bewirtschaftete eine Zeitlang das kleine Gut Oßmannstedt. Nach dem Tod seiner Frau, die ihm vierzehn Kinder geboren hatte, zeigte er sich in Weimar wieder in Samtkäppchen und Tuchstiefeln. Als der Arzt dem Todkranken noch einmal Hoffnung machen wollte, antwortete der: »Sein oder Nichtsein, das ist mir jetzt so ziemlich egal.«
    Wir verdanken seinen Shakespeare-Übersetzungen Wörter wie »Clown«, »Spleen«, »Steckenpferd«, »Milchmädchen« und »Schafsgesicht«. Ein so kunstvolles Deutsch, wie im »Agathon«, kann heute keiner mehr schreiben. Im Vergleich mit den Verlusten, die unsere Sprache seitdem hinzunehmen hatte, ist die Auseinandersetzung um die Rechtschreibreform nur noch ein Nachhutgefecht.

Christa Wolf
    War sie eine »Staatsdichterin« oder eine »Widerstandsfigur«? Ist sie »Deutschlands humorloseste Schriftstellerin« oder eine »moralische Instanz«? Die Urteile über Christa Wolf und ihre Werke gehen weit auseinander. An ihrer Person entzündete sich 1990 ein erbittert geführter Streit in den Feuilletons, der eigentlich auf das Verhältnis der DDR-Literatur zum Staat hinauswollte und schließlich in einer Debatte über die gesamte deutsche Nachkriegsliteratur auslief. Nun ist es still geworden.
    Auf dem Alexanderplatz sieht man Christa Wolf noch stehen, an einem windigen Herbsttag im November 1989, zwischen dem Geheimdienstchef gleichen Namens und Schabowski, auf einer grob gezimmerten Rednertribüne. – Trug sie einen Regenmantel? Wo hatte sie ihre Handtasche? – Volksrednerisch betätigte sie sich, gab beschwichtigend-tapfer Auskunft über den Vogel »Wendehals«. Und man meint sie noch zu hören, wie sie wenig später ihren »Landsleuten« über Funk und Fernsehen zurief: »Bleiben Sie doch in Ihrer Heimat, bleiben Sie bei uns!«

    Ihrem vergleichsweise schmalen Œuvre ist weltweite Aufmerksamkeit zuteil geworden. Sowohl in FDGB-Heimen als auch in amerikanischen Colleges war Christa Wolf gern gesehen, in West wie Ost hoch dekoriert, nicht immer ohne Kalamitäten, mal unerwartet erkrankend, mal zur Rückgabe aufgefordert. Den Heinrich-Mann-Preis erhielt sie und
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