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Um Haaresbreite

Um Haaresbreite

Titel: Um Haaresbreite
Autoren: Clive Cussler
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sich, bei den heutigen Preisen müssen hier über dreihundert Millionen an Gold herumliegen.
    So sehr es ihn auch reizte, die Schätze länger zu betrachten, wollte Shaw keine Zeit verlieren.
    Seine Kleider waren schweißnaß, und doch fühlte er sich wie in einem Eisschrank.
    Der Lokführer war in seiner Kabine gestorben, und das große Eisenungeheuer war von einer dicken Staubschicht bedeckt, aber Shaw konnte noch gut die goldenen Ziffern 88 und den roten Streifen an der Flanke erkennen.
    Zehn Meter vor dem Prellbock lag eine große Steinmasse, die den Haupteingang zum Bergwerk verschüttet hatte. Hier lagen noch mehr Leichen herum, und die von ihren verkrampften Knochenhänden umspannten Schaufeln und Spitzhacken deuteten an, daß sie bis zum letzten Atemzug verzweifelt gescharrt und gegraben hatten. Sie hatten tatsächlich einige Tonnen Gestein beiseite geschafft, aber es war ein nutzloses Unterfangen gewesen.
    Hundert Mann hätten Monate gebraucht, um sich durch diesen Schutt zu graben.
    Wie war das alles geschehen? Shaw zitterte. Dieser Ort flößte Entsetzen ein. Welche Qualen mußten diese hilflos in einem kalten und finsteren unterirdischen Kerker eingeschlossenen Menschen erlitten haben, bis der Tod sie endlich erlöste!
    Er ging um die Lokomotive und den Tender herum, stieg in den ersten Pullmanwagen, schritt durch den Korridor. Im ersten Abteil sah er eine Frau in einem der Betten; sie hatte die Arme um zwei kleine Kinder geschlungen. Shaw wandte sich ab und ging weiter.
    Er kramte alle Handkoffer durch, in denen sich vielleicht der Nordamerikanische Vertrag befinden konnte. Die Suche zog sich endlos langsam hin. Allmählich ergriff ihn Panik. Die Stablampe wurde schwächer, die Batterien waren fast verbraucht.
    Der siebente und letzte Pullmanwagen, auf dessen Plattform er zuerst die grauenhaften Passagiere erblickt hatte, trug an der Tür das Wappen des amerikanischen Adlers. Shaw fluchte. Hier hätte er beginnen sollen. Er legte die Hand auf die Klinke, zog die Tür auf, trat ein. Einen Augenblick verschlug ihm die Pracht dieses Sonderwagens fast den Atem. So etwas gibt es heute nicht mehr, sagte er sich.
    Eine Gestalt mit steifem Hut, eine vergilbte Zeitung über dem Gesicht, lag halb ausgestreckt in einem Drehstuhl mit rotem Samtbezug. Zwei seiner Gefährten saßen zusammengesunken über einem Eßtisch aus Mahagoniholz, die Köpfe auf den Armen ruhend. Einer von ihnen trug, wie Shaw feststellen konnte, einen englischen Maßanzug, der andere einen Tropenanzug aus Kammgarn. Dieser zweite erregte Shaws Interesse, denn seine Hand klammerte sich an den Griff eines kleinen Reisekoffers.
    Shaw löste den Koffer aus den steifen Fingern mit einer solchen Behutsamkeit, als hätte er Angst, den Besitzer zu wecken. Plötzlich verweilte er regungslos. Im äußersten Blickwinkel nahm er eine unmerkliche Bewegung wahr. War es Einbildung? Die schwankenden Schatten an den Wänden hatten seine angegriffenen Nerven auf die Zerreißprobe gestellt. Wenn er sich auf seine Phantasie verließ, konnte alles mögliche in diesem schwachen Licht plötzlich zum Leben erwachen.
    Dann blieb ihm das Herz stehen. Ein Kardiologe würde es für ausgeschlossen halten. Aber sein Herz stand still, als er wie gelähmt auf die Spiegelung im Fenster starrte.
    Die Leiche mit dem steifen Hut im Drehstuhl hinter ihm richtete sich plötzlich auf. Dann zog die grauenhafte Gestalt die Zeitung von ihrem Gesicht und lächelte Shaw an.
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    »Sie werden das Gesuchte da drinnen nicht finden«, sagte Pitt und wies auf den Koffer.
    Shaw konnte nicht leugnen, daß der Schreck ihn völlig verwirrt hatte. Er ließ sich in einen Stuhl sinken, wartete, bis sein Herz wieder schlug. Jetzt sah er, daß Pitt einen alten Mantel über einem schwarzen Taucheranzug trug. Als er sich endlich gefaßt hatte, sagte er: »Sie haben eine höchst seltsame Art, Ihre Anwesenheit zu bezeugen.«
    Pitt knipste seine Taucherlampe an und wandte seine Aufmerksamkeit wieder lässig der alten Zeitung zu. »Ich wußte schon immer, daß ich achtzig Jahre zu spät auf die Welt gekommen bin. Hier wird ein gebrauchter Stutz Bearcat Speedster mit niedriger Kilometerzahl für nur sechshundertfünfundsiebzig Dollar zum Kauf angeboten.«
    Shaw hatte in den letzten zwölf Stunden seine Gefühlsreaktionen bis auf die Neige verbraucht und war kaum in der Stimmung für solche Plaudereien. »Wie sind Sie hierhergekommen?«
    Pitt blickte nicht von den Autoinseraten auf, als er antwortete.
    »Bin
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