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Um Haaresbreite

Um Haaresbreite

Titel: Um Haaresbreite
Autoren: Clive Cussler
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nur wenige kostbare Sekunden, um ihre Raketen abzufeuern, wenn das Flugzeug sichtbar wurde. Ein Jet der British Airways flog vorbei, und Gly stoppte genau die Zeitspanne, bis er in den Wolken verschwand. Kaum sechs Sekunden. Zu schnell, stellte er grimmig fest. Ihre Chancen, zwei Treffer zu landen, waren hauchdünn.
    Er wischte sich den Schnee von seiner sandblonden Mähne und ließ das Fernglas sinken. Auf den ersten Blick wirkte sein kantiges, rötliches Gesicht anziehend und fast knabenhaft.
    Sympathische braune Augen und ein markantes Kinn; aber bei näherem Hinsehen beherrschte die Nase alles übrige. Sie war breit und entstellt von zahlreichen Brüchen, die sie in brutalen Straßenschlachten erlitten hatte, und sie war so häßlich, daß sie fast wiederum schön wirkte.
    Aus einem unerklärlichen Grund fanden Frauen sie sogar anziehend und sexy.
    Das kleine Empfangsgerät in der Tasche seiner Daunenjacke begann zu piepsen. »Zentrale ruft Werkmeister.«
    Er drückte auf den Sendeknopf. »Ich höre, Zentrale.«
    Claude Moran, ein hagerer, pockennarbiger Marxist, der als Sekretär für den Generalgouverneur arbeitete, steckte sich den Hörerknopf ins Ohr und begann langsam in das Mikrofon an seinem Rockaufschlag zu sprechen, während er von der Beobachtungsterrasse auf die startbereiten Flugzeuge blickte.
    »Ich habe eine Ladung Leitungsrohre, Werkmeister. Sind Sie bereit, sie in Empfang zu nehmen?«
    »Sagen Sie mir, wann«, antwortete Gly.
    »Der Lastwagen kommt gleich, sowie das Dockerteam die Fracht aus den Staaten abgeladen hat.«
    Das harmlos klingende Gespräch sollte dazu dienen, etwaige Mithörer, die auf die gleiche Frequenz eingeschaltet waren, in die Irre zu führen. Gly entnahm Morans doppelsinnigen Worten, daß das Flugzeug des Premierministers auf der Startpiste war und nur noch abwarten mußte, bis ein Jet der American Airlines abgeflogen war.
    »Okay, Zentrale. Melden Sie sich wieder, wenn der Lastwagen vom Dock abfährt.«
    Persönlich hatte Gly nichts gegen Charles Sarveux. Für ihn war der Premierminister nur ein Name in den Zeitungen. Gly war nicht einmal Kanadier.
    Er hatte in Flagstaff, Arizona, das Licht der Welt erblickt, als Folge einer betrunkenen Paarung zwischen einem Profiringkämpfer und der minderjährigen Tochter des County Sheriffs. Seine Kindheit war ein Alptraum des Leidens gewesen, weil sein Großvater ihn bei jeder Gelegenheit auspeitschte. Gly war sehr stark und hart geworden. Dann kam der Tag, an dem er den Sheriff zu Tode prügelte und aus Arizona floh. Danach hatte er ständig um sein Leben kämpfen müssen. Er hatte Betrunkene in Denver ausgenommen, eine Bande von Autodieben in Los Angeles angeführt, Benzinlastwagen in Texas geraubt.
    Gly betrachtete sich nicht als einen gewöhnlichen Mörder. Er zog es vor, sich als Organisator zu bezeichnen. Er war derjenige, an den man sich wandte, wenn alle anderen versagt hatten, ein führender Spezialist; und er stand im Ruf, kaltblütig und wirkungsvoll zu handeln.
    Moran blickte über die Balustrade der Beobachtungsterrasse.
    Sarveux’ Flugzeug schien sich im fallenden Schnee auf der zur Startpiste führenden Bahn aufzulösen.
    »Werkmeister.«
    »Jawohl, Zentrale.«
    »Tut mir leid, aber ich kann aus meinen Papieren nicht klar ersehen, wann genau die Leitungsrohre ankommen.«
    »Verstanden«, antwortete Gly. »Melden Sie sich wieder nach dem Lunch.«
    Moran erwiderte nichts. Er nahm die Rolltreppe bis zur Haupthalle hinunter, ging hinaus, rief ein Taxi. Auf dem Rücksitz gestattete er sich den Luxus, eine Zigarette zu rauchen, und fragte sich, welche hohe Stellung er für sich in der neuen Regierung von Quebec verlangen sollte.
    Gly wandte sich auf dem Golfplatz den Männern mit den Raketen zu. Sie hockten mit einem Knie im Schnee und hatten die Augen an die Visierlinsen gedrückt.
    »Unser Ziel ist der übernächste Abflug«, ermahnte er sie.
    Nahezu fünf Minuten schleppten sich vorbei, bevor Gly das ferne Dröhnen von Jetmotoren vernahm. Er starrte angestrengt durch den weißen Schleier, denn jeden Augenblick mußte jetzt die amerikanische Maschine mit ihrem rotblauen Abzeichen sichtbar werden.
    Zu spät fiel ihm ein, daß die Maschine eines Staatsoberhauptes Vorrechte genoß und vor dem amerikanischen Linienflugzeug starten würde. Zu spät sah er, wie das rotweiße kanadische Ahornblatt für einen kurzen Augenblick am Himmel auftauchte.
    »Es ist Sarveux!« rief er. »Feuer, zum Donnerwetter, Feuer!«
    Die beiden Männer
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