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Überman

Überman

Titel: Überman
Autoren: Tommy Jaud
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war kein Scherz, sie riecht es wirklich: Wenn Manni oder ich am Wochenende auch nur eine Sekunde im Büro waren, um eine Runde zu kickern – Paula riecht es montags vier Blöcke gegen den Wind, und wir haben »Flauschi, bitte lüften!«-Post-its am Bildschirm und »Kuschelweich, Fenster auf!«
    Das war noch die moderate Phase. Die radikale begann, als Paula und ihre Guerilla-Gardening-Freunde anfingen, mit Hilfe einer neuartigen, ferngesteuerten Drohne Hanfbomben auf die Dachgärten von Banken fallen zu lassen, um sie dann, also wenn etwas gewachsen war, wegen Drogenbesitz anonym anzuzeigen. Immerhin: Die Drohne ist jetzt im Gemeinschaftsbesitz unseres Büros, und Manni und ich hatten schon großen Spaß daran, alle möglichen Leute damit in den Wahnsinn zu treiben.
     
    Ich nutze die Gunst des menschenleeren Büros, um mir eine Zigarette anzuzünden, und überlege, mit was ich anfangen soll – Liste? Kontostand? Steuer? Auto? Ich entscheide mich für eine leichte Aufwärmaufgabe und rufe beim Autohaus Karst an, um zu fragen, ob sie mein Auto schon bewertet haben. In jedem Fall würde mir das Geld für den Hilux erst einmal Luft verschaffen bis zum Ende des Jahres.
    »Achttausendfünfhundert Euro?!?«, tobe ich. »Für einen komplett neuwertigen Hilux, inklusive Sommerreifen auf Felge und PEZ -Spender? Haben Sie auch nur den Funken einer Ahnung, was ein Kredit für ein Mehrfamilienhaus kostet im Monat und ein Bachelor-Studium in Geisenheim?«
    Sie haben keine Idee, und eine Frau mit geduckter Graumaus-Stimme verweist auf angeblich faustgroße Löcher im Dachhimmel.
    »Dann hol ich ihn wieder ab. Achtfünf ist mir zu wenig. Wie lange haben Sie auf?«
    »Achtzehn Uhr. Ich glaube aber, nicht, dass Sie woanders –«
    Wütend lege ich auf.
    Als ich mir die nächste Zigarette anzünde, fällt mein Blick auf den Schuhkarton mit den Briefen vom Finanzamt. Jetzt wäre eigentlich ein idealer Zeitpunkt, der Realität in ihr kühl blitzendes Auge zu sehen. Oder sollte ich erst mal auf mein Girokonto schauen? Irgendwas muss da ja passiert sein, wenn keine meiner EC -Karten mehr geht. Aber was?
    Ich könnte gerade kotzen. Vor drei Tagen hätte ich mein Konto noch selbst ausgleichen können und jetzt – vielen Dank noch mal an den 589 . der Teutoburger Wald-Rundfahrt. Möge er bei seinem nächsten Rennen mit hundert Sachen in eine Thüringer Grillstation krachen und sich so lange brennend überschlagen, bis ihm ein rumänischer Mischholz- LKW über seine griechischen Eier fährt.
    Ich halte inne, horche, und schließlich rufe ich »Manni?« Nichts. Gut so. Mit merklich erhöhtem Puls nehme ich den Deckel des Schuhkartons ab. Zuerst zähle ich die Umschläge. Es sind 21 , allesamt vom Finanzamt Köln-Nord. Ich überlege, ob 21 gut oder schlecht ist, und komme zu dem Schluss, dass man gar nicht wissen kann, ob 21 gut oder schlecht ist, weil 21 einfach nur die Anzahl der Briefe ist, die ungeöffnet in meinem Karton liegen. 21 an sich ist keine Information. 21 gibt lediglich einen Hinweis auf die Fülle an Information. Ich beschließe, einen der Briefe zu öffnen. Nur welchen?
    Ich stehe auf und gehe in die Küche, Evil La Boum folgt mir begeistert. Als er allerdings bemerkt, wie ich mir von dem Jack Daniels eingieße, der von der letzten Büroparty übriggeblieben ist, schaut er ziemlich erschrocken.
    Der Whisky schmeckt beschissen, ein gutes Zeichen, dass ich nicht abhängig bin. Dafür hab ich jetzt den Mut, die Briefe wenigstens mal anzufassen. Sie fühlen sich alle gleich an. Schließlich ordne ich die Briefe nach Datumsstempel, starte iTunes und beschalle sie zweimal mit
Nossa Nossa
von Michel Teló.
    Mit angehaltenem Atem reiße ich den obersten Umschlag auf und ziehe den Briefbogen raus. › FESTSETZUNG ‹ steht groß unter meinem Namen und darunter diverse viel zu große Summen in diversen Spalten, von denen eine › ABZURECHNEN SIND ‹ heißt und die andere › BEREITS GEZAHLT ‹. Ich hab Steuern gezahlt? Das ist ja phantastisch! Aber für was haben sie es ausgegeben? Kindergärten? Kreisverkehre? Kanalsanierung?
    Für den Hauch einer Sekunde erhalte ich mein schönes Gefühl aufrecht, dann sehe ich die Summe, die hinter › DEMNACH ZU WENIG GEZAHLT ‹ steht. Sie ist nicht nur fett gedruckt, sie hat auch sechs Stellen, vor dem Komma. Direkt hinter der Summe ist ein Sternchen, und als ich das Sternchen schließlich ganz unten auf der Seite finde, steht dahinter der ebenso lapidare wie niederschmetternde Satz:
Die
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