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Ueberdog

Ueberdog

Titel: Ueberdog
Autoren: Joerg-Uwe Albig
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Tennysons, ein französisches Powerpaar.« Dieser Satz wärmte mich so mollig, dass ich noch vor meinem inneren Zapfenstreich einschlief.
    Es war ein Donnerstagabend, als ich am Museum für Völkerkunde entlangflanierte. Taxis fuhren vor, Menschen stiegen aus, drängten auf die Freitreppe, belagerten die Eingangstür. Mein Körper fühlte sich scharf an, aber empfindlich, wie geschliffen, aus glitzerndem, zerbrechlichem Kristall.
    Jedes Mal, wenn die Tür zum Museum aufschwang, konnte ich Musik hören; es war Musik aus meiner Jugend. Ich erkannte »Why So Shy« von den Molesters, ich erkannte »Green Bomb« von Bad Ecology. Und ich erkannte Serge Stierlin, Minette Theotonidis und Bernard Salic, die jetzt in der Schlange standen.
    Ich stieg die Freitreppe hoch. Ich stellte mich zu Serge, Minette und Bernard; sie schenkten mir keinen Blick. Ich sah, wie sie zitterten in dem feinen, erfrischenden Schneeregen, der jetzt eingesetzt hatte. Minette wischte sich Flocken vom Mund; ihre Lippen glänzten, unentschlossene Schnecken. Der Türsteher schüttelte den Kopf.
    »Moment«, sagte Serge. Er schob Minette beiseite, die empört in die Runde schaute, als erwarte sie von ihren Begleitern eine Tat. »Vielleicht klären wir erst mal den Sachverhalt«, sagte Serge. »Wer oder was hat diese Gesellschaft geschlossen?«
    Ich sah den Türsteher an, seinen spitzen Schädel, seine gesteppte Antiklederjacke. Ich sah die Beine seiner Trainingshose, die in den Socken steckten. Der Mann verzog keine Miene. Minette versuchte, das Ungeheuer anzuflirten: »Haben wir uns nicht bei Rebecca gesehen«, sagte sie, »bei der Halloween-Party.«
    »Ich seh immer so aus«, sagte der Oger und blickte fest zur Seite.
    Er starrte auf die Linden, auf den Imbissstand, auf den Schwarm der Taxis, die pausenlos neue Insassen für die geschlossene Gesellschaft ausspuckten.
    »Ist schon okay«, sagte ich zu ihm. »Die drei gehören zu mir.« Er sah mich von oben bis unten an, dann ließ er uns mit einem Zwinkern passieren. Ich verschwand im Trubel des Foyers, bevor Serge sich bedanken konnte.
    Ich schritt durch die Menge wie eine Königin. Ich genoss die Spannung im Rückgrat, in den Wadenmuskeln. An der Stuckdecke rotierte eine Discokugel; aus den Lautsprechern dröhnte »Frog Killer« von ADS. Gäste standen Schlange an den Garderoben; jetzt erst sah ich, dass sie unter ihren Trenchcoats und Pelzmänteln Fetzen trugen, lächerlich zerrissene Lumpen. Eine Frau im Großgeblümten, die Hüften mit Discountertüten umhüllt, balancierte vier Plastikbecher mit Billigbier; der bittere Hopfen mischte sich mit ihrem Parfum, Electra von Création Critique. Ein Mann mit zickzackförmigem Seitenscheitel hatte die froschgrüne Jogginghose mit schmutzigen Binden umschnürt. Als die Kleingeblümte an ihm vorbeistakte, presste er einen weichen Rülpser aus der Kehle, und die Corgy Boys sangen »Too Drunk To Shop«.
    Ich drängte mich durch die schiebende, rempelnde Menge. Hier und da spürte ich eine Hand auf meinem Hintern, ein schüchternes, unreifes Kneifen. Auf der Wendeltreppe zum Obergeschoss kamen mir Pullover mit sorgsam gestanzten Mottenlöchern entgegen, Zottelperücken und angeklebte graumelierte Bärte. Die frisch geschminkten Falten machten jedes Lächeln zur Anstrengung; es sah aus, als wären nicht die Falten aufgetragen, sondern das Lächeln.
    An einer Bar entdeckte ich den »Große-Pause«-Star Jérôme Fuerte, der sich einen glutroten Pickel auf die Stirn geklebt hatte. Trotz ihrer schwarz gefärbten Schneidezähne erkannte ich Isabell Tersteegen, Herausgeberin der Gee . Mick Renninger identifizierte ich erst, als Christoph Stihl-Steinbeißer auf ihn zuwankte, den Arm um seinen Hals legte und, das Kinn auf seiner Schulter, Einsilber lallte: »Mick, mein Mick.« Bei Mia Trimbull,von oben bis unten in dick gestrickte Schals verpackt, war ich mir lange nicht sicher; schließlich glaubte ich, ihre baltische Nase zu identifizieren.
    Mich erkannte niemand.
    Traurige Gestalten kreuzten meinen Blick, boxten einander gegen die Schultern, schwappten einander Bier über die Kleider. Der Mann mit der SICURIT-Baseballmütze, dem ich den Bierbecher aus der Hand nahm, sah mich dankbar an. Ich genoss das Bier, wie ich lange kein Bier genossen hatte, und ich genoss meine Verwegenheit, meine Unverschämtheit, meinen unwiderstehlichen Charme.
    Am Wodkatresen schickten mir Männer Pfiffe hinterher; ich konnte hören, dass sie das Pfeifen erst üben mussten. Weit beugte ich
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