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Ueberdog

Ueberdog

Titel: Ueberdog
Autoren: Joerg-Uwe Albig
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mich über die Theke, legte den Bauch auf das Holz, streckte den Hintern in die Luft; es gab keinen Grund, mich zu verstecken. Als ich mich umdrehte, war ich froh, dass ich wieder festen Boden unter den Füßen hatte.
    Denn vor mir stand Schmiddel.

    Lange muss ich ihn stumm angesehen haben. Erst allmählich, Pixel für Pixel, baute das Erkennen sich auf. Der überweite Kamelhaarmantel, den er auch in dieser Hitze nicht ablegte, die Sonnenbrille, die Tolle; die üppige Drahtwolle, die den Mund zum Strich machte.
    »Kennen wir uns«, fragte er schließlich, mit belustigten, freundlich verengten Augen. Er legte den Kopf schräg und wartete einfach ab.
    Ich konnte nichts sagen; ich war froh, dass er nicht auf einer Antwort bestand. »Sie sehen großartig aus«, sagte er und sahmich noch aufmerksamer an. Er ließ mich auch nicht aus den Augen, als plötzlich ein magerer Zwerg neben ihm stand; er trug einen flammenden Haarkranz und ein Palästinensertuch und legte die Hand auf Schmiddels Arm.
    »Na«, sagte der Zwerg und starrte mich ebenfalls an. Der Schleim um seine braunen Augen sah aus wie Klebstoff; die zu kurzen Ärmel seiner speckigen Wildlederjacke verdeckten kaum die antike Breitenbacher-Uhr. »Willst du mich nicht vorstellen«, fragte er Schmiddel.
    Natürlich kannte ich Noel Kammacher, und jetzt erkannte ich ihn auch, trotz seiner Maskerade. »Mein Galerist Noel«, ergänzte Schmiddel nonchalant. »Er hat immer viel zu tun. Sogar in diesem Augenblick, nicht wahr, Noel?«
    »O weh, o weh«, jauchzte Kammacher, schüttelte mit komischer Verzweiflung den Kopf. »Na gut«, sagte er schließlich und schaute mürrisch auf seine Breitenbacher. »Dann lass ich euch beide mal allein.«
    Unbehaglich sah ich mich um. Ich wollte nicht allein bleiben mit Schmiddel, seinem bleichen, zerstreuten Verstehen. Doch es gab keinen Grund zur Sorge, denn ein Gast nach dem anderen trat jetzt auf uns zu; jeder blieb für ein paar Augenblicke bei uns stehen. Leutselig begrüßte Schmiddel Zack Weisshaar, Nenette Braun, Zizi von Mernheim. Und am Rand meines Gesichtsfelds, unter einer »Wurzener Pilsener«-Reklame, entdeckte ich jetzt sogar Nina Löwitsch. Auch sie steuerte ohne Umweg auf uns zu.
    Ich hielt den Atem an. Nina trug kein Kleid, auch nicht ihre Bikerjacke; sie trug ein gestückeltes Potpourri, zusammengenäht aus Laken, T-Shirt-Stoff und Wolldecken, grau mit braunen Streifen, offenbar aus Bundeswehrbeständen. Sie sah grandiosaus. Staunend sah ich zu, wie sie sich durch den Raum bewegte, wie sie ihn ohne Gesten oder Hüftschwünge in Wellen versetzte. Sie schien niemanden zu sehen, schien über sämtliche Kraftfelder hinwegzuschweben; bis zu dem Moment, in dem ihr Blick auf mich fiel.
    Es war nicht einmal ein Moment. Es war nur ein kurzer Schluckauf im Atem der Zeit. Ohne die Andeutung einer Irritation hob Nina grüßend die Brauen, erzeugte ein Lächeln und korrigierte ihren Kurs. Kurz entschlossen trat sie auf eine Frau im Faltenrock zu; trotz der geschminkten Hämatome erkannte ich Natascha Zerberus, die Art-Direktorin der Spell .
    Doch da war immer noch, bilde ich mir ein, der Anflug von Trauer in Ninas Gesicht, eine Resignation in ihrem Blick, der meinen Blick jetzt sorgfältig mied. Und noch immer stand ich vor Schmiddel wie ein Hund vor einem Fluss, unbehaglich, ungeduldig und hoffnungslos fremd.
    Dann spürte ich Schmiddels Hand zwischen meinen Schulterblättern. Fast ohne Berührung führte er mich zur Treppe. Er dirigierte mich aufwärts, vorbei an dem Schild mit der Aufschrift »Kein Zutritt«. Es wurde stiller um uns; afrikanische Masken an den Wänden bewachten unseren Aufstieg. Die Treppe wurde schmaler von Stockwerk zu Stockwerk. Vergessene Topfpflanzen griffen mit wirren Blättern nach dem Licht, das nur noch als schwacher Schein aus der Tiefe drang.
    Ich sah Schmiddel an. Vielleicht war es nur der Geruch, der mich irritierte; ein Geruch nach Testosteron, nach regelmäßigem Fleischverzehr und Workout in einem anerkannten Gym. Ich spürte etwas Fremdes an ihm, eine erhöhte Dichte der Moleküle, eine unbekannte Massivität. Selbst seine Blässe war undurchlässiggeworden, nicht mehr durchscheinend wie eine Plastiktüte, sondern opak wie Porzellan. Und noch immer schwebte seine Hand wie suchend, aber griffbereit hinter meinem Rücken.
    »Schmiddel«, sagte ich mit rauher Stimme. Er sah mich an, mit freundlicher Verwunderung, als hätte ich eine seltsame kleine Bitte auf dem Herzen; eine fremde, charmante
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