Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ueberdog

Ueberdog

Titel: Ueberdog
Autoren: Joerg-Uwe Albig
Vom Netzwerk:
Restaurantshätte aufwärmen können, hatte ich nun nicht mehr. Doch mein neuer Schicksalsglaube maß der Nahrung keine besondere Bedeutung mehr bei. Ohne Scheu durchschritt ich den Eingang zum Gebäude der Arbeiterwohlfahrt, stand dann gleichgültig Schlange für fleischarmes Labskaus oder Kartoffelsuppe, die Kapuze eines fleckigen Parkas vor der Nase oder das strähnige Grauhaar einer früh Gealterten. Mein selbstbewusster Blick beeindruckte die Freiwilligen an der Kelle derart, dass ich schon bei der ersten Runde einen Nachschlag bekam.
    An meinem fünften Tag im Eingang des Sportgeschäfts spürte ich beim Aufwachen eine Wärme in der Nierengegend. Meine Nase war kalt, doch von hinten umfing mich ein Arm. Im Nacken spürte ich einen fremden Schopf. Ich machte mich los und setzte mich auf.
    Die Besitzerin des Arms war jung, höchstens zwanzig Jahre alt. Sie hatte die Augen noch fast geschlossen. Ihre Lider waren geschwollen; ihr Pony hatte sich zum Zopf verklebt. Als sie die Augen aufschlug, sah ich ihr Lächeln; es sah beinahe aus, als wäre sie verliebt.
    »Geht es schon los«, fragte sie aufgeregt. Ich schaute an ihr vorbei, denn hinter ihr breitete sich ein Meer aus Leibern aus.
    »Was«, fragte ich zurück.
    »Machen die schon auf«, setzte sie nach und streckte ihr Handgelenk mit der Armbanduhr aus der Steppjacke. »Ist doch noch gar nicht acht«, knatschte sie dann.
    Um sie herum begann sich das Menschenmeer zu regen. Es schlug Wellen; es gähnte, brummte und knurrte. Hier und da reckte sich ein Oberkörper, streckte sich ein Arm aus, schüttelte sich ein Haarschopf. »Ist es so weit«, fragte ein Schlaks mitschwerem, massivem Kinn. Ein Mädchen schob sich die Truckermütze aus den Augen und stieß entsetzt ihre Nachbarin an: »O Gott. Da sind ja bestimmt noch fünfzig vor uns.«
    »Cool«, sagte das Mädchen mit dem verklebten Pony zu mir. »Da sind wir auf der sicheren Seite.«
    Ich hörte ein Murren über dem Menschenmeer, ein gemeinschaftliches Jaulen, in dem Enttäuschung lag und Wut.
    »Hey, du«, rief schließlich ein Langhaariger aus der siebten Reihe, »du mit dem Mantel.« Ich brauchte eine Weile, um zu begreifen, dass er mich meinte; ich richtete mich auf und reckte den Kopf.
    »Fünfhundert Euro«, schrie er. »Okay? Ich warte hier auf dich.«
    In diesem Moment spürte ich die Ladentür im Kreuz; ich konnte längst nicht mehr ausweichen. Meine Füße waren umrankt von menschlichen Schlingpflanzen, die, sobald ich aufstand, in die Lücke gestoßen waren. Vier massive Kerle in Security-Uniformen ragten im Eingang auf; zwei packten mich an den Armen, zogen mich ins Ladeninnere.
    Eine Verkäuferin im Basketballtrikot trat auf mich zu, sie sagte: »Herzlichen Glückwunsch.« Sie legte den Kopf schief; sie strahlte mich an, als müsste ich antworten. »Wie heißt du?«
    »Danke«, sagte ich freundlich. Ihr Mund blieb offen, als genügte ihr die Antwort nicht, und ich sagte: »Ich bin Stella.«
    Ihre Wangen glühten auf, als hätte sie einen Heiratsantrag bekommen. »Dreihundert für die ganze Welt«, jubelte sie. »Siebzig für Deutschland. Zwanzig für Hamburg. Und du bist die Erste, Stella. Wahnsinn, absoluter Wahnsinn. Wie lange hast du da draußen gewartet?«
    »Fünf Tage«, sagte ich freundlich.
    Irritiert sah sie mich an. Sie sah die Flecken auf meinem Trenchcoat, meine wild geblähten Haare. Dann schüttelte sie den Kopf und lächelte wieder: »Wahnsinn, absoluter Wahnsinn.«
    Durch die Glasscheibe konnte ich die Körper sehen, die sich von außen gegen die Tür warfen. Ein Spalt klaffte auf, zitternd; Hände drängten sich hinein, wurden immer mehr. »Einer nach dem anderen, Herrschaften«, sagte einer der vier Muskelmänner. »Sind doch noch neunzehn da.« Die Ordnungskräfte massierten sich vor dem Spalt; mit vereinten Kräften drückten sie die Tür wieder zu. Ein Satz Fingerkuppen zog sich im letzten Moment zurück.
    Jetzt erst sah ich die Turnschuhe. Sie rotierten, warm bestrahlt, auf einer beleuchteten Plexiglassäule; hinter ihnen glänzte ein Plakat. Es zeigte einen schlechtgelaunten Schwarzen mit silberner Bomberjacke und acht Ringen an den Fingern, die er dem Betrachter entgegenstreckte. Natürlich erkannte ich Uhuru MC; ich erinnerte mich auch an die Ankündigung seiner Sneakers-Edition für Berenice Coulthard, die limitierte Auflage, die Schnürsenkel aus gedrilltem Hanf. Ich erinnerte mich sogar an die Plakate. Einmal hatte ich unter einem zu Mittag gegessen.
    »So, Stella, dann
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher