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Ueberdog

Ueberdog

Titel: Ueberdog
Autoren: Joerg-Uwe Albig
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sagte er. Es war eine original Dino-Pinone-Stimme, hart und knapp, ohne Nachhauch der Wörter, aber mit diesem gewissen reizbaren Überschwang.
    »Klar, Mann«, sagte ich. »Sportler.« Ich zeigte auf sein Board: »Wann fängst du denn an.«
    Er blickte hinab auf das Brett, als sehe er es zum ersten Mal. Und auch mir kam das Ding plötzlich absurd vor, ein Dada-Gegenstand wie eine Pelztasse, ein Treppenlift. Dann strahlte er mich an, die Wellen von Malibu in seinen Augen: »Fürs Anfangen werd ich nicht bezahlt.«
    Es dauerte eine Weile, bis ich begriff. Dann sagte ich: »Oh.« Ich sah sein Grinsen, das schon wieder ganz bei sich selbst war, im Bewusstsein der gelungenen Überraschung; ein Jack-Solomon-Grinsen, das Grinsen des jungen Mack MacFarlane. »Dann«, sagte ich tapfer, »will ich das auch.«
    Er griff in die Brusttasche seiner Jacke, entfaltete einen Merkzettel; er brauchte nur eine Hand dafür. Ich erkannte irgendein Logo in Schiffsform, etwas wie »ProHafenCity« oder »Hafen Solutions«, gefolgt von einer Handvoll Namen mit Telefonnummern. Er fragte: »Hast du einen Stift?«
    Ich schüttelte den Kopf, und so hielt er das Blatt vor seine Brust, seine zweifellos rasierte Brust, und zeigte mit der Linken auf meine Nikon. Und mit dem Gehorsam, den die Schönheit nun einmal fordert, machte ich das Foto.
    »Die suchen eigentlich immer Leute«, sagte der Skater.
    »Obwohl –«, sagte er dann und sah mich mitten im Satz noch einmal an. Dann drehte er sich um, angelte mit dem Fuß nach seinem Skateboard, ließ es in einem bissigen Schwung aufwärtsschnellen. Ich sah den Hintern in seinen Jeans, seinen kleinen, sehnigen und doch viskosen Hintern, und ich sah, wie er die Promenade Richtung Westen entlangstolzierte, das Skateboard neben sich mit kleinen Fußtritten vorantreibend; es sah aus, als führte er es an der Leine. Vor Columbus Coffee bezog er seinen nächsten Posten.
    Eine Dreiergruppe näherte sich von Westen, ein älteres Ehepaar und ein Wesen, das bis auf einen Augenschlitz von einer Burka umhüllt war. Der Mann trug einen Übergangsmantel und eine Baskenmütze, die Ehefrau eine Pelzjacke und ein marineblaues Kleid. Schweigend liefen sie neben der Burka her; aus dem Stoff drang eine Frauenstimme, nicht laut, aber ohne Unterbrechung. Erst als das Trio auf meiner Höhe war, hörte ich, wie der Mann zu der Burka sagte: »Komm, jetzt halt’s Maul, Katrin.«Im Samowar bestellte ich Beef Stroganoff, ließ es mitsamt Teller in meiner Sylvie-Turenne-Tüte verschwinden und stellte nach einer Dreiviertelstunde die Kellnerin zur Rede. »Habe ich Ihnen das denn nicht gebracht«, flötete sie bekümmert. Mitleidig schüttelte ich den Kopf. »Ich muss noch mal fragen«, sagte sie verzweifelt. »Ist sicher sofort fertig.«
    »Lassen Sie mal«, sagte ich großzügig und schaute auf die Uhr. »Ich habe sowieso keine Zeit mehr. Lassen Sie’s gut sein.«
    Nervös blickte die Kellnerin sich um, linste aus verängstigten Augenwinkeln dem Mann im schwarzen Anzug entgegen, der mit beunruhigter Miene hinter einer golden und cremefarben tapezierten Säule hervortrat und sich unaufhaltsam meinem Tisch näherte. »Das tut mir wirklich sehr leid«, sagte sie hastig. »Der Rotwein geht selbstverständlich aufs Haus.«
    »Schade«, antwortete ich. »Das Stroganoff soll ja ganz hervorragend sein hier.«
    Erleichtert stellte ich am Abend fest, dass meine Schlosssperre in der Eppendorfer Wohnung unversehrt geblieben war. Ich schaltete die tropfenförmige Deckenlampe von Schlock an; stumm begrüßte ich das Paolo-Rizzoli-Sofa, die Knorrholm-Stühle. Stumm kündigte ich an, mit ihnen wieder wohnen zu lernen. Ich setzte das Beef Stroganoff in die Mikrowelle der DeLanieri-Küche, verfolgte mit wohlwollendem Blick die Drehungen der Scheibe. Dann saß ich am Tisch, gabelte versonnen Filetstreifen aus der Soße und freundete mich in Gedanken mit dem Kikkomainen-Bett an, das ich in dieser weltverlorenen Neumondnacht in aller Sorgfalt einweihen würde.
    Viel Zeit verbrachte ich an den folgenden Tagen in den Restaurants der Stadt. Ich begann, mich meinen Ursprüngen zunähern, der tierischen Existenz, der gründlichen und ganztägigen Beschäftigung mit Nahrungsbeschaffung. Ich genoss die Vereinfachung und Schärfung meines Lebenssinns. Stufenlos erweiterte ich meinen Radius, prüfte Lokale in Stellingen, Rahlstedt und Lurup, kostete ungekannte Gerichte: Zahlmeisterschnitzel, Türkische Eier, Sprottensalat. Während ich im Neuengammer Fährhaus
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