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Ueberdog

Ueberdog

Titel: Ueberdog
Autoren: Joerg-Uwe Albig
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Rasenflächen, Pilzköpfen und übermütigen Frauen in kurzen Hosen. Der Wind kühlte meine Herzseite, die Sonne heizte meine Milz. Übermütig bestellte ich drei Eier im Glas und einen Campari Soda. Als ich in meiner Handtasche wühlte, stellte ich fest, dass ich mein Geld vergessen hatte.
    Die Aussicht, die Zeche nicht zahlen zu können, machte mich fatalistisch und keck. Ich bestellte noch einen Courvoisier. Die Kellnerin hatte lustige grünbraune Augen und einen kleinen, weichen Mund. »Sie haben Ähnlichkeit mit Sandy Langman«, sagte ich. »Hat Ihnen das schon mal jemand gesagt?« Die Kellnerin setzte schroff den Cognac ab, drehte sich um und schritt mit steifen, zügigen Schritten davon.
    Von den Kastanien segelten Blätter. Ich griff mir die Vogue vom Nebentisch; ich setzte ein wasserdichtes Lächeln auf und sah trotzdem, als sich auf der anderen Straßenseite eine Gruppe Penner von den Stufen des alternativen Kulturzentrums erhob.
    Ich glaubte an den Segen, den die Seligen ausstrahlten, so wie ich an den Fluch glaubte, der auf den Unglücklichen lag. Und deshalb waren es nicht so sehr die Obdachlosen, die mir Unbehagen einflößten, sondern die Tatsache, dass ich diese Menschenüberhaupt wahrnahm. Ich wusste, dass ein verfehltes Leben so ansteckend ist wie ein gelungenes; dass nur das Glück glücklich macht und nur der Erfolg erfolgreich. Wer in Abgründe blickt, das wusste ich, verliert schnell das Gleichgewicht. Und dass es jetzt einer Horde Gescheiterter gelungen war, sich in mein Blickfeld zu drängeln, nahm ich als böses Omen, als Zeichen eines geschwächten Immunsystems.
    Beklommen beobachtete ich, wie die Clochards einander ansahen. Ohne Eile überquerten sie die Straße und steuerten auf meinen Tisch zu. Instinktiv riss ich die Vogue vors Gesicht, doch ich stellte bald fest, dass die bunte Scheuklappe meine Kontrolle der Lage sabotierte. Meine Wachsamkeit weichte auf, doch ich klammerte mich an die Zeitschrift und erwartete zugleich aus den Augenwinkeln den unvermeidlichen Angriff. Kurz blickte ich zu der Kellnerin hinüber, die ungerührt Tische abwischte.
    Wie ein Kind schloss ich die Augen. Was ich nicht sah, konnte mir nichts tun. Es funktionierte. Als ich die Augen wieder öffnete, umzingelten die Eindringlinge schon eine Familie zwei Tische weiter.
    Die Familie beeilte sich, ihr Sektfrühstück zu beenden. Die Reste auf der Marmorplatte sahen aus wie ein stummes Schuldbekenntnis: die Lachsfetzen, die halbleere Flasche im Kühleimer. Hektisch winkte der Vater der Kellnerin hinterher, die jetzt Papierservietten im Ständer ordnete. Schließlich zog er einen Schein aus der Tasche, legte ihn auf den Tisch. Mit schaufelnden Handbewegungen trieb er seine Sippe zum Aufbruch. Stramm marschierten die vier Richtung Pferdemarkt, ohne sich umzudrehen. Ohne Zögern nahmen die Vagabunden ihre Plätze ein.Es waren zwei Männer und zwei Frauen. Einer der Männer hatte ein Tuch um den Kopf gewickelt; am Gürtel baumelte ein Teddybär. Der andere trug einen waldgrünen Troyer, einen Spitzbart und die Frisur eines Afghanenhundes. Die ältere der beiden Frauen steckte in einem Faltenrock und einer geblümten Polyester-Strickjacke, an der Hundehaare klebten; ihre Oberlippe lag auf der Kante ihres Schals. Die jüngere war klein, der Kopf kahlrasiert, die riesigen Augen mit langen Wimpern und harten Lidstrichen noch zusätzlich aufgebläht. Rechts über der Oberlippe steckte eine Perle im Fleisch.
    Mit schlenkerndem Strahl verteilten sie den Rest der eilig aufgegebenen Sektflasche in die zurückgebliebenen Gläser. Mechanisch setzte auch ich mein Cognacglas an. Ich erwischte nur noch einen öligen Tropfen.
    Ich schlug die Vogue auf, als könnte ich jetzt noch darin lesen. Stattdessen spürte ich, wie die Penner mich anschauten. Dann sah ich auch schon, wie der Afghane knapp die Hand hob; sofort rückten die vier ihre Stühle heran und brachten die Gläser der Familie mit. Der Afghane goss aus jedem einen halben Zentimeter in das Campariglas, das noch immer auf meinem Tisch stand.
    Erst jetzt roch ich den Geruch, den diese Menschen verströmten. Ich musste an meine Kindheit denken, an die langen Stunden, in denen ich, türkisfarbene Gummihandschuhe an den Fingern, die Bananenkiste säuberte, in der mein Meerschweinchen Hasso wohnte. Mein Bruder Jan hatte derweil auf dem Sofa gesessen, Hasso im Arm, den Blick in Vorabendserien versenkt. Es war Hassos reicher, lebenssatter Geruch, der jetzt zugleich in mir und zu mir
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