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Ueberdog

Ueberdog

Titel: Ueberdog
Autoren: Joerg-Uwe Albig
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legen, aus dem einzigen Grund, dass sie die Achtung des Kamelmanns besaßen, der die Achtung von Nina Löwitsch besaß; eine Achtung, die ihre Achtung für mich ganz offensichtlich überstieg.
    Und umgehend rief ich mich selbst zur Ordnung.
    Doch ich fragte mich, was diese Menschen an sich hatten, dass sich der Kamelmann mit ihnen umgab. Vielleicht war es ihre Großzügigkeit, ihre Ecken und Kanten, ihre Authentizität, ihre ungebrochene sexuelle Energie. Vielleicht war es irgendein Glanz; der Glanz der Gelassenheit, der in vollen U-Bahnen ebenso strahlte wie in schlecht gelüfteten Pubs; ein Glanz, der einem das Gefühl schenkte, ganz nah dran zu sein, ganz jetzt . Vielleicht war es eine Präsenz, eine Kompromisslosigkeit, eine positive Verrücktheit. Vielleicht war es eine wilde Intelligenz, so überwältigend, dass sie sich leisten konnte, sich zu verstecken. Vielleicht waren es ihre Schmeicheleien, ihre Ergebenheit, ihreHandhabbarkeit. Vielleicht gehörte der Kamelmann auch zu dieser Art voyeuristischer Snobs, die Typen sammelten, Originale, deren Krassheit sie beim abendlichen Erzählen gegen die Krassheit anderer Typen tauschen konnten wie Fußballbilder. Dass sie womöglich zu einer neuen Art von Extremdandys gehörten, deren Stilobsessionen und Verhaltensregeln meiner unfehlbaren Nase bislang einfach verborgen geblieben waren, wollte ich mir zu diesem Zeitpunkt nicht einmal vorstellen.
    Lange genug hatte es gedauert, bis ich mich mit meiner Nase versöhnt hatte. Meine Kindheit hindurch hatte ich sie zu dick gefunden. Schließlich hatte ich aufgehört, mir eine schlankere Nase zu wünschen, eine Nase wie Jocelyn Puy, eine Fee-Nordenstein-Nase. Ich hatte das Potential meiner Nase erkannt, die auf hundert Meter Entfernung das Gute witterte, das Richtige, das Gewisse Etwas , das Große Tennis . Und ich hatte mich mit dem Verdacht angefreundet, dass das Volumen dieser Nase an dieser Saugkraft nicht ganz unbeteiligt war.
    Jetzt spürte ich einen Blick auf meiner Nase. Und wieder stellte ich fest, dass der Kamelmann mir ins Gesicht schaute, ohne mich anzusehen. Es war, als hätte seine Sonnenbrille sich selbständig gemacht. Sie war zu einem eigenen Paar Augen mit eigener Wahrnehmung geworden; sie sah aus wie zwei Radarschirme, die meinen Leib abtasteten.
    »Wir kennen uns«, sagte der Kamelmann.
    Und wieder klang es, als spräche er zu sich selbst, oder als spräche er zu irgendeiner Nachwelt. Ich sah seine starre, fast eingeschnappt wirkende Miene; es sah aus, als verstünde er keinen Spaß. Noch wusste ich nicht, dass in seiner Humorlosigkeit seine Stärke lag und seine Macht.
    »Stimmt«, sagte ich, beinahe gereizt.
    »Toll«, sagte der Kamelmann.
    Ich spürte, wie mein Mut zurückkehrte. Und später sollte es mir vorkommen, als hätte ich schon in diesem einen Wort seine allumfassende, verschwenderische Großzügigkeit gespürt.
    »Sie haben noch mein Handy«, sagte ich forsch. Ich beeilte mich zu lächeln; es sollte um Gottes willen kein Vorwurf sein.
    Der Kamelmann dachte nach. Er grub die Hände in die Manteltaschen. Dann ließ er den riesigen Beutel von seiner Schulter gleiten und begann gewissenhaft, ihn zu durchsuchen. Ich konnte sehen, wie seine Gedanken abschweiften, und mit hochgezogenen Brauen sah ich ihn an, als könnte ich so seine Konzentration festnageln.
    »Ich bin Schmiddel«, sagte der Kamelmann und sah aus, als würde er nachdenken. Dann streckte er mir die Hand entgegen, als sähe er mich zum ersten Mal. »Schmiddel«, wiederholte ich, es kam mir vor, als wäre der Name mir längst vertraut. Wotan, Beriberi, Linux, Bang-Cock, deklamierte ich still; warum, um alles in der Welt, nicht auch Schmiddel.
    Ich zögerte eine Sekunde, meinen Namen zu nennen. Schmiddels Finger waren schmal, leicht seitlich gekrümmt. Bis auf die schmutzigen Nägel sahen sie seltsam gepflegt aus. Ich war überrascht, wie zart diese Hand war; ich musste an nackte, schutzlose Kleinsäuger denken. Mir blieb wenig übrig, als die Hand zu ergreifen; ich nahm sie mit spitzen Fingern, als klaubte ich ein verklebtes Haarnest aus dem Waschbeckenabfluss. Der Mann schien mein Zögern nicht zu bemerken. Zerstreut glitt sein Sonnenbrillenblick an mir vorbei.
    Jetzt erst nahm ich seinen Geruch wahr, der mir vor denDeichtorhallen entgangen war. Es war ein Geruch nach Metall und vergehendem Laub – ein Bernhardiner, der einer Autobatterie entsteigt. Und gleichzeitig roch es, als wäre das Kamel, das den Mantel geliefert hatte, wieder
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