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Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel

Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel

Titel: Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel
Autoren: Jandy Nelson
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halsbrecherischen Tanzwettbewerben in Grund und Boden gestampft haben, wenn wir einander an Albernheit zu übertreffen versuchten, ohne dabei selber eine Miene zu verziehen. Ich hab immer verloren, denn Bailey verfügte über Waffen wie das Frettchengesicht , welches in Kombination mit ihren meisterhaften Monkey Moves absolut tödlich war. Wenn sie diese Nummer abzog (was mehr Beherrschung abverlangte, als ich je aufbringen konnte), war ich zum Scheitern verurteilt und endete unweigerlich als hilfloses Häuflein Hysterie auf dem Boden.
    Ich lehne mich über die Fensterbank und sehe, wie nicht anders erwartet, Toby unter einem fast vollen Mond. Die Meuterei in meinem Inneren habe ich nicht erfolgreich unterdrücken können. Ich atme tief durch, dann gehe ich nach unten und öffne die Tür.
    »Hey, was ist los?«, sage ich. »Alle schlafen.« Meine Stimme krächzt, unbenutzt, mir könnten Fledermäuse aus dem Mund
fliegen. Ich betrachte ihn eingehend unter der Verandalampe. In seinem Gesicht rast der Kummer. Als würde ich in einen Spiegel gucken.
    »Ich dachte, wir könnten vielleicht ein bisschen rumhängen«, sagt er. Und in meinem Kopf hör ich nur: Latte, Latte, Erektion, Steifer, Hammer, Ständer, Latte, Latte, Latte – »Ich muss dir was erzählen, Len, weiß nicht, wem ich’s sonst erzählen soll.« Das Dringliche in seiner Stimme rast durch mich hindurch wie ein Schaudern. Die rote Warnleuchte über seinem Kopf könnte nicht greller aufblitzen, aber ich kann trotzdem nicht Nein sagen, will es nicht.
    »Treten Sie ein, Sir.«
    Er berührt meinen Arm im Vorbeigehen auf eine freundliche, brüderliche Art, die mich entspannt. Vielleicht kriegen Jungs ja immerzu Steife, aus keinem besonderen Grund – ich hab ja null Ahnung vom Latten-Abc. Bis jetzt hab ich nur drei Jungs geküsst, bin also total unerfahren mit real existierenden Jungs, allerdings Expertin, wenn es um die in Büchern geht, besonders Heathcliff, der keine Erektionen kriegt – Moment mal, wenn ich so darüber nachdenke … dann muss er andauernd welche kriegen mit Cathy auf den Mooren. Heathcliff muss doch ein total ausgetickter Ständertyp sein.
    Ich mache die Tür hinter Toby zu und bedeute ihm, still zu sein, während er mir die Treppe hinauf zum Allerheiligsten folgt, das schallisoliert ist, um den Rest des Hauses vor Jahren jaulender Klarinettentöne zu schützen. Grama würde einen Infarkt kriegen, wenn sie wüsste, dass er mich vor einem Schultag gegen zwei Uhr nachts besucht. Egal, welche
Nacht, Lennie. Das hat sie ganz bestimmt nicht im Sinn gehabt, als sie ihn erreichen wollte.
    Sobald die Tür des Allerheiligsten geschlossen ist, lege ich die Indie-Selbstmordmusik auf, die ich in letzter Zeit immer höre, und setze mich neben Toby auf den Boden, mit unseren Rücken an der Wand, die Beine sind ausgestreckt. Schweigend lehnen wir da wie zwei Steinplatten. Mehrere Jahrhunderte gehen ins Land.
    Als ich es nicht mehr aushalte, mache ich einen Witz: »Möglicherweise hast du dieses Ding mit dem starken, stillen Typen doch zu weit getrieben.«
    »O, sorry.« Verlegen schüttelt er den Kopf. »Ich merk nicht mal mehr, dass ich es tu.«
    »Was tust?«
    »Nicht reden …«
    »Echt. Was denkst du denn, was du tust?«
    Er legt den Kopf zur Seite, lächelt schief und anbetungswürdig. »Ich wollte auf Eiche machen, so wie die da unten im Garten.«
    Ich lache. »Dann war das sehr gut, du bringst die perfekte Eichenimitation.«
    »Danke … glaub, ich hab Bailey verrückt gemacht mit meinem Schweigen.«
    »Neenee, sie mochte das, hat sie mir erzählt. Weniger Anlässe, nicht einer Meinung zu sein … plus mehr Bühnenzeit für sie.«
    »Stimmt.« Er schweigt eine Weile, dann sagt er mit einer Stimme, die zittrig ist vor Gefühlen: »Wir waren so verschieden.«

    »Ja«, sage ich leise. Diametrale Gegensätze, Toby immer heiter und ruhig (wenn nicht zu Pferd oder zu Brett), während Bailey alles auf einmal machte: gehen, reden, denken, lachen, feiern – und zwar mit Lichtgeschwindigkeit und mit dem entsprechenden Leuchten.
    »Du erinnerst mich an sie …«, sagt er.
    Ich will herausplatzen: Was? Du hast dich immer so verhalten, als wäre ich eine Ofenkartoffel! Aber stattdessen sage ich: »Kann nicht sein, ich hab nicht diese Strahlkraft.«
    »Du hast jede Menge … ich hab da ernsthafte Defizite«, sagt er und klingt ganz erstaunlich nach Kartoffel.
    »Für sie nicht«, sage ich. Sein Blick erwärmt sich – und das bringt mich um. Wo bleiben wir nur
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