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Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen

Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen

Titel: Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
Autoren: Robin Hobb
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Prolog
Das nicht Erinnerte
     
    Ich erwache jeden Morgen mit Tinte an meinen Fingern. Manchmal liege ich bäuchlings ausgestreckt auf meinem Schreibtisch, inmitten von Schriftrollen und Pergamenten. Mein Famulus, wenn er mit meinem Tablett hereinkommt, mag sich die Freiheit nehmen, mich zu schelten, weil ich wieder einmal nicht den Weg ins Bett gefunden habe. An anderen Tagen schaut er mir ins Gesicht und sagt kein Wort. Ich erkläre ihm nicht, weshalb ich tue, was ich tue, denn dies ist kein Geheimnis, das man an einen Jüngeren weitergibt; er sollte durch eigene Mühe zu der Erkenntnis gelangen.
    Ein Mann muß eine Aufgabe haben. Heute weiß ich es, doch ich brauchte die ersten zwanzig Jahre meines Lebens, um es zu lernen. Darin halte ich mich kaum für einzigartig. Dennoch, es ist eine Lektion, die mir, einmal gelernt, immer gewärtig geblieben ist, und mit wenig mehr als den Schmerzen, um mich dieser Tage zu beschäftigen, habe ich mich bemüht, eine Aufgabe zu finden. Ich habe mich einem Unterfangen zugewandt, das mir schon vor langer Zeit von sowohl Prinzessin Philia als auch Fedwren, dem Schreiber, ans Herz gelegt worden war. Diese Seiten sollten der Anfang einer umfassenden Geschichte der Sechs Provinzen sein, doch es fällt mir schwer, mich länger auf ein einziges Thema zu konzentrieren, deshalb verschaffe ich mir Abwechslung mit kürzeren Essays: Theorien über Magie, Betrachtungen über politische Strukturen sowie Reflexionen über andere Kulturen. Wenn die Beschwerden am quälendsten sind und ich nicht die Kraft habe, meine Gedanken zu ordnen und niederzuschreiben, arbeite ich an Übersetzungen oder befasse mich damit, alte Dokumente zu kopieren und zu vervollständigen. Ich beschäftige meine Hände in der Hoffnung, meinen Verstand abzulenken.
    Das Schreiben hilft mir, wie das Zeichnen von Karten seinerzeit Veritas geholfen hat. Die diffizile Arbeit, die Konzentration, die aufgebracht werden muß, lassen beinahe das drängende Verlangen der Sucht vergessen wie auch deren Nachwehen, unter denen jeder leidet, der ihr einst verfallen war. Man kann versinken in solcher Arbeit und sich selbst vergessen. Man kann noch tiefer eintauchen und trifft auf zahlreiche Erinnerungen an dieses Selbst. Nur allzu häufig stelle ich fest, daß ich von einer Geschichte der Sechs Provinzen abgeirrt bin zu Leben und Taten des FitzChivalric. In diesen Erinnerungen sehe ich mich konfrontiert mit dem, der ich war und mit dem, der ich geworden bin.
    Derart vertieft in eine Aufarbeitung der Vergangenheit, ist es überraschend, wie vieler Einzelheiten man sich zu entsinnen vermag. Nicht alle Erinnerungen, die ich heraufbeschwöre, sind schmerzlich. Ich hatte mehr als nur meinen gerechten Anteil an Freunden und fand sie treuer, als ich füglich erwarten konnte. Schönes und Freuden, die ich erleben durfte, haben meine Seelenstärke nicht weniger auf die Probe gestellt als das Traurige und Häßliche. Dennoch besitze ich, verglichen mit anderen, möglicherweise einen größeren Hort an dunklen Erinnerungen; wenige haben den Tod in einem Kerker erfahren oder entsinnen sich an das Innere eines Sarges, begraben im Schnee. Der Verstand schaudert vor diesen Bildern. Es ist eine Sache, daran zu denken, daß Edel mich ermordete, eine andere, sich des Grauens der Tage und Nächte zu vergegenwärtigen, als er mich hungern und schließlich von seinen Schergen totschlagen ließ. Wenn ich es tue, gibt es Augenblicke, bei denen mir noch immer das Blut in den Adern gefriert, selbst nach all diesen Jahren. Ich erinnere mich an die Augen des Mannes und das Geräusch, als seine Faust meine Nase zermalmte. Es gibt für mich noch immer einen Ort, zu dem ich in meinen Träumen gehe, wo ich darum kämpfe, aufrecht stehen zu bleiben und mich bemühe, nicht daran zu denken, wie ich einen letzten Versuch machen will, Edel zu töten. Ich erinnere mich, wie er mir mit dem Handrücken ins Gesicht schlug und die Haut aufplatzte. Davon ist mir die Narbe auf der Wange geblieben.
    Niemals kann ich mir den Triumph vergeben, zu dem ich ihm verhalf, indem ich Gift nahm und starb.
    Doch schmerzlicher als die Ereignisse, an die ich mich erinnere, empfinde ich jene, die für mich verloren sind. Als Edel mich tötete, löschte er mich aus. Niemals wieder war ich für alle FitzChivalric, niemals erneuerte ich die Bande zu den Menschen von Bocksburg, die mich gekannt hatten, seit ich ein Knabe von sechs Jahren gewesen war. Niemals wieder bezog ich mein Quartier in der
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