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Ueber die Liebe und den Hass

Ueber die Liebe und den Hass

Titel: Ueber die Liebe und den Hass
Autoren: Rachida Lamrabet
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Freizeitraum. Ich schlage vor, wir gehen einmal dort vorbei, wenn du dich umgezogen hast, dann kann ich dich ihnen vorstellen.«
    »Farida Chamlali und Annick De Smet, arbeiten sie noch hier?«, fragte Calixe, nachdem sie sich umgezogen hatte und aus dem Umkleideraum herauskam. Sie verstaute die Sachen in ihrem Schrank.
    Anne schien kurz überlegen zu müssen. »Farida Chamlali, der Name sagt mir nichts. Vielleicht war das vor meiner Zeit, ich bin hier erst seit zwei Jahren. Annick De Smet ist jetzt inzwischen schon seit einem halben Jahr zu Hause, Elternzeit, sie hat gerade ihr drittes Kind bekommen. Kennst du sie denn?«
    »Nein«, antwortete Calixe. Und das entsprach der Wahrheit. Calixe hatte nicht wirklich verstanden, was in den beiden Frauen vorging. Vor allem Farida hatte sie nie richtig durchschauen können. Calixe erinnerte sich noch daran, wie Farida in hysterisches Gelächter ausgebrochen war, als sie sie vorsichtig darauf hingewiesen hatte, dass Marokko sich ebenfalls in Afrika befinden würde.
    » Sach, Annick, haste das gehört?« Farida hatte den Kopf zurückgeworfen und hatte noch lauter gelacht.
    Annick hatte missbilligend den Kopf geschüttelt. Sie umkreisten sie, Calixe konnte ihnen nicht mehr ausweichen.
    Farida berührte Calixe fast mit dem Zeigefinger an der Nase. Sie kniff die Augen zu Schlitzen zusammen und zischte: » Und trotzdem bin ich keene Schwatte, Schwatte .«
    Die meisten Bewohner sahen sie freundlich an, als Anne sie vorstellte.
    »Wie hieß sie noch gleich?«
    »Calixe«, antwortete Calixe laut.
    »Alex?«, fragte ein kleines Frauchen, dem es schwerfiel, eine Bastelarbeit aus Pappmaché in den Händen zu halten.
    Der Mann neben ihr beobachtete das ganze Geschehen teilnahmslos und bastelte ungerührt an einer, wie Calixe fand, ziemlich gelungenen Arbeit weiter.
    » Ca-lixe«, wiederholte sie noch einmal laut und deutlich.
    »Bist du aus Afrika?«
    »Nein, ich komme aus dem flämischen Sint-Agatha Berchem.«
    Calixe ließ den Blick durch den Raum schweifen, auf der Suche nach ihm. Aber er war nirgends zu sehen. Typisch für ihn, solche gemeinschaftlichen Aktivitäten zu meiden, dachte sie. Er verabscheute es, zu Entspannungsaktivitäten genötigt zu werden. In Ter Weide hatte er einmal eine Pflegerin mit einem blauen Farbtopf bedroht, nachdem sie ihn wiederholt schulmeisterlich ermahnt hatte, doch bitte wie alle anderen Bewohner auch ein Aquarell mit Meeresansicht zu malen, und ihm dann schließlich ziemlich unsanft einen Pinsel in die Hand drückte.
    Sie überlegte, wer von den alten Leuten sich als Erstes darüber beschweren würde, von ihr gewaschen zu werden. Und wer würde sich als Erster weigern, von ihr gefüttert zu werden? Vielleicht das Frauchen dort, das sich noch immer mit der Bastelarbeit abmühte?
    »Ich höre auf, es geht nicht mehr. Und der Arzt hat gesagt, dass ich mich körperlich nicht mehr so anstrengen soll. Es tut mir leid. Ich werde David sehr vermissen. Er ist ein so lieber Junge.«
    Calixe verschlug es für ein paar Sekunden den Atem. Zuerst glaubte sie, sich verhört zu haben. Gerade jetzt, wo der Ablauf so gut geregelt war.
    David freute sich, sie wiederzusehen. Vom Laufstall aus produzierte er aufgeregte Laute in ihre Richtung.
    »Mach dir keine Sorgen, die Tagesmuttervermittlung ist bereits informiert, die haben immer eine Lösung. Und bis Ende der Woche kann er noch hierbleiben.«
    David gurrte zufrieden, als sie ihn im Maxi-Cosi auf den Rücksitz ihres zweitürigen Nissan stellte. Sie hatte das Gefühl, dass der Maxi-Cosi diesmal viel schwerer als sonst wog. Calixe hatte kein Wort auf die Mitteilung der Tagesmutter erwidert. Sie mühte sich schwitzend damit ab, die Trageschale festzugurten, und stieß einen Seufzer aus. David lachte noch immer. Er versuchte, ihr mit den Fingern in die Augen zu stechen. Um seiner Attacke auszuweichen, hob sie kurz den Kopf und stieß sich dabei unsanft am Türrahmen. »Scheiße!«, fluchte sie unterdrückt.
    Sie kroch aus dem Wagen, ohne den Maxi-Cosi richtig zu befestigen. Das Haar klebte ihr im Nacken. Mit Schwung warf sie die Tür zu, ging verärgert zur Fahrerseite und rieb sich dabei die schmerzende Stelle am Hinterkopf.
    Die Kopfschmerzen wurden stärker, als sie den Motor anließ.
    Wie schön wäre es, jetzt zu schlafen, tagelang, an einem Stück. Ihr fehlte die Energie, sich selbst davon zu überzeugen, dass alles wieder gut werden würde. Dass sie bis zum Ende der Woche eine neue verlässliche Tagesmutter hätte.
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