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Ueber die Liebe und den Hass

Ueber die Liebe und den Hass

Titel: Ueber die Liebe und den Hass
Autoren: Rachida Lamrabet
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denen so schlecht ausgehen musste. Wir haben, glaube ich, ein paar der Bewohner bei uns aufgenommen.«
    »Einen Mann.«
    »Nur einen?«
    »Meneer Dubois.«
    Nachdem der Konkurs von Ter Weide vollzogen war, hatte Calixe gehofft, Meneer Dubois würde nicht in diese Einrichtung kommen. Damals hatte sie sich vorgenommen, keinen Fuß mehr hier hereinzusetzen. Doch nun zwang er sie, an diesen Ort zurückzukehren, den sie eigentlich aus dem Gedächtnis hatte streichen wollen. Es wirkte tatsächlich so, als sei jede seiner Handlungen darauf ausgerichtet, sie unglücklich zu machen.
    Es war Calixe nicht entgangen, dass die Frau sich Mühe gab, freundlich zu wirken.
    »Also dann, herzlich willkommen«, sagte die Stationsschwester und erhob sich. »Auf gute Zusammenarbeit.«
    Sie nahm ihre Brille ab und hielt Calixe die Hand hin.
    Calixe stand auf und schüttelte die Hand der Stationsschwester. »Wie ich sehe, wurdest du befördert. Das ist gewiss eine große Verantwortung, nicht?« Noch immer war aus ihrer Stimme nicht die geringste Enttäuschung herauszuhören. Die Stationsschwester schien Calixes Frage zu überraschen. Sie zögerte kurz. »Ja, es ist wirklich eine große Verantwortung, aber ich empfinde es auch als besondere Wertschätzung meiner Arbeit.« Calixe konnte sich nicht erinnern, bei dieser Frau je Führungseigenschaften wahrgenommen zu haben oder sonst irgendwelche Qualitäten, die es gerechtfertigt hätten, dass sie eine leitende Position übernahm. Ihre Art, zu allem und jedem Distanz zu wahren, ja, daran erinnerte sie sich sehr genau. Ihre unterkühlte abweisende Haltung.
    Ihre Mutter war immer der Ansicht gewesen, dass eine distanzierte Art, zumindest an manchen Orten auf der Welt, einem das Leben retten konnte. Calixe hatte sich das oft anhören müssen. Ihre Mutter hatte immer geglaubt, Erziehung bestehe daraus, einem ein Repertoire an formelhaften Lebensweisheiten mit auf den Weg zu geben. Calixe hielt das für vollkommenen Unsinn. Und sie glaubte auch nicht, dass einem eine distanzierte Haltung das Leben retten konnte. Sie konnte höchstens, zumindest an manchen Orten der Welt, die Karriere befördern, weil sie dafür sorgte, dass alles auf das Wesentliche reduziert wurde. Und dieses Wesentliche, das war die Aufgabe, die Funktion. Alles, was sich um diese Aufgabe oder Funktion herumgruppierte, wurde als überflüssiger und störender Ballast über Bord geworfen. Eine distanzierte Haltung als notwendige Voraussetzung für Professionalität und Effizienz.
    Und diese Frau, von der sie nun zur Bürotür begleitet wurde, hatte sich immer von diesen beiden Kriterien leiten lassen.
    Calixe hatte sie als eine äußerst penible und hart arbeitende Altenpflegerin in Erinnerung.
    Sie konnte es ihr nicht verzeihen, noch immer nicht. Sie wusste, dass es übertrieben war, nach all den Jahren noch auf eine Erklärung zu warten, auf eine Entschuldigung, auf etwas, das alles erträglicher machen würde. Auf jemanden, der sie beruhigen könnte, jemanden, der endlich zugeben würde, dass ihr Unrecht angetan wurde.
    Aber die Leiterin hatte sich von ihr abgewandt und sprach eine Pflegerin an, die über den Flur ging.
    Sie vertraute Calixe der Pflegerin an, die ihr die Station zeigen sollte.
    »Wir freuen uns sehr, dass du nun hier bist. Wir brauchen dringend Unterstützung.«
    Anne war eine große Frau mit freundlichen Augen.
    »Hier ist der Umkleideraum, dieser Schrank ist noch frei, den kannst du nehmen.«
    Damit Calixe sehen konnte, dass der Schrank auch wirklich leer war, öffnete sie die Tür. Dabei lächelte sie etwas unbehaglich. Calixe folgte ihr schweigsam.
    »Das ist unser Versammlungsraum, hier informieren wir uns jeden Morgen eine Viertelstunde über alles, was in der Schicht davor passiert ist. Jeden Mittwoch gibt es ein Treffen mit dem ganzen Team, den Ärzten und den Externen.«
    »Und hier an dieser Tafel hängen die Pläne und die Tagesaufgaben für die Morgen- und Abendschicht.«
    Aus einem Körbchen nahm die Pflegerin eine Liste, die sie Calixe gab.
    »Die Liste mit allen Bewohnern, vom Pflege- und Altenheim.«
    Calixe sah, dass die Liste alphabetisch sortiert war. Sie suchte den Buchstaben D.
    Danniels.
    De Meirleir.
    Dubois.
    Geerts …
    Ihr Blick ging schnell wieder zurück zu Dubois.
    Hinter seinem Namen stand die Zimmernummer 205. Sie atmete erleichtert auf. Manchmal verstand sie ihre irrationale Angst selbst nicht so recht. Die Angst, dass er vielleicht nicht mehr da war.
    »Die Bewohner sind jetzt im
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