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Ueber die Liebe und den Hass

Ueber die Liebe und den Hass

Titel: Ueber die Liebe und den Hass
Autoren: Rachida Lamrabet
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verabscheut.
    Alles nur manipulierende quengelnde Monster. Sie führten sich auf wie die unschuldigen Engelchen, aber die Hiebe, die sie austeilten, zeugten von einer unglaublichen Boshaftigkeit. Im Kongo hatte er gesehen, wie diese Männlein mit ihren Steinschleudern Vögelchen von den Bäumen holten, bei lebendigem Leibe rupften, um sie dann auf einem Feuerchen zu rösten.
    Er hatte immer voller Abscheu dabei zugesehen, wie die Bäuche der Vögel von der Hitze, die aus den Eingeweiden trat, aufquollen. Nie hatte er eingegriffen.
    Calixe cremte Mevrouw Appelmans mit einer samtig zarten Lotion ein. Ihre sanften Hände massierten behutsam die dünne Pergamenthaut, die sich weigerte, einen Tropfen aufzunehmen.
    Mevrouw Appelmans döste weg.
    Genau wie Mevrouw Appelmans war auch Calixe in Gedanken bei Meneer Dubois. Sie überlegte, ob David bereits aufgewacht war und wie er auf das unfreundliche faltige Gesicht von Meneer Dubois reagieren würde. Er war ein froh gelauntes, munteres Baby und würde sicherlich nicht weinen. Zumindest nicht sofort.
    Es war eine Lösung, die eigentlich keine war. Sie machte sich Sorgen. Was, wenn jemand vom Personal ins Zimmer von Meneer Dubois kam, alarmiert vom Weinen eines Babys? Man würde sie auf der Stelle feuern, daran gab es keinen Zweifel.
    Ihr Herz stockte. Sie meinte David zu hören. Ihre Hände hielten inne. Sie horchte gespannt. Nichts, es kam kein Geräusch vom Flur.
    Mevrouw Appelmans Haut wurde unangenehm warm unter Calixes reglosen Händen. Die Lotion fühlte sich klebrig an. Sie griff nach einem Handtuch und wischte sich die Hände ab.
    »So, Mevrouw Appelmans, das wär’s dann für heute. Helfen Sie mir dabei, Sie anzuziehen?«
    Mevrouw Appelmans knurrte enttäuscht. »Hast du es heute eilig? Ich hatte gehofft, du würdest dich etwas länger meinem Rücken widmen. Ich fühle mich in letzter Zeit wie gerädert.«
    »Das haben Sie dann für das nächste Mal noch gut. Versprochen.«
    Mühsam kam Mevrouw Appelmans vom Bett hoch. Das wenige Haar, das sie noch hatte, bauschte sich struppig zur linken Seite, als hätte sie ein Baiser auf dem Kopf.
    Auf einmal regte sich etwas im Tragegestell, und Meneer Dubois hielt den Atem an, in der Hoffnung, das Kind würde einfach weiterschlafen.
    Es machte leise Geräusche. Wärmte die Stimmbänder auf. Brabbelte. Meneer Dubois erschrak, er meinte einen Arm zu sehen, der mit einer unkontrollierten Bewegung ausholte.
    » Bon dieu! « , sagte er panisch.
    Mit dem Spazierstock, den er noch in den Händen hielt, seitdem Calixe ihn vor einer Stunde mit dem Kind zurückgelassen hatte, stocherte er auf der harten Kunststoffwanne des Tragegestells herum.
    Er umklammerte den Stock so fest, dass seine Knöchel ganz weiß wurden. Er war bereit, sich zu verteidigen, sollte es zu einer lebensbedrohlichen Situation kommen. Zu seiner großen Überraschung fing das Tragegestell von alleine an zu wippen. Es sah so aus, als wolle das Kind wieder eindösen. Doch als sich das Gestell nicht mehr bewegte, fing das Kind wieder an herumzufuchteln. Meneer Dubois suchte nach Stellen im Tragegestell, in die er seinen Stock stecken konnte, damit er aus der Entfernung den Sitz bewegen konnte. Es funktionierte. Sanft und rhythmisch schubste er mit dem Stock den Tragesitz an. Das Kind bewegte sich nicht mehr und gab keinen Mucks von sich.
    Meneer Dubois grinste zufrieden.
    »Ich bin wirklich ein schlauer Kopf.«
    Calixe ging lautlos zur Tür von Zimmer 205.
    Drinnen war es still.
    Ihre Hand lag auf der Klinke. Sie zögerte kurz und ließ dann los. Sie hatte Angst, die vollkommene Ruhe dort drinnen mit ihrer Neugierde und Überbesorgtheit zu zerstören. Sie beschloss, erst ihre Runde zu beenden und dann zurückzukommen.
    Mevrouw Verdun saß in einem Sessel und schaute abwesend aus dem Fenster. Sie hatte ihr zu verstehen gegeben, heute kein Bad nehmen zu wollen. Calixe machte ihr Bett.
    »Meinst du, sie kommen heute?«
    Calixe sah von der Arbeit hoch. Mevrouw Verdun schaute noch immer aus dem Fenster. »Meine Kinder, meinst du, sie kommen mich heute besuchen? Sie waren schon seit einer Ewigkeit nicht mehr hier.« Sie rückte sich im Sessel zurecht und schaute nun zu, wie Calixe das Kopfkissen aufschüttelte. »Ich erwarte meinen ersten Enkel.«
    »Wenn ich mich recht erinnere, waren sie doch gestern hier?«
    Die Frau sah Calixe an, als würde sie nicht richtig verstehen, was sie da gerade gesagt hatte.
    Mevrouw Verduns Kinder kamen zweimal wöchentlich, und manchmal kam
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