Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ueber die Liebe und den Hass

Ueber die Liebe und den Hass

Titel: Ueber die Liebe und den Hass
Autoren: Rachida Lamrabet
Vom Netzwerk:
Sie hatte keine Lust auf endloses Tauziehen. »Kommst du?« Ihre Stimme hallte im Badezimmer.
    Sie beugte sich über die Wanne, die inzwischen fast voll war, und rührte mit der Hand durchs Wasser, damit sich der Schaum verteilte, der in großen bizarren Flockenformationen auf dem Wasser trieb. Die Wassertemperatur war genau richtig.
    Sie trocknete sich die Hände an einem Handtuch ab und ging zurück ins Zimmer. Er saß noch immer auf dem Bett.
    »Kommst du endlich? Das Wasser wird kalt.«
    » Et si tu me foutais la paix, Chagrin? Lässt du mich bitte in Ruhe, Chagrin?«
    »Nach dem Baden. Los, mach jetzt und steig in die Wanne, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.«
    »Ja, das kommt manchmal vor, es gibt Tagesmütter, die weigern sich, bestimmte Kinder anzunehmen.«
    »Und was machen Sie dann?«
    »Na, eigentlich nichts. Die Tagesmutter hat das Recht, bestimmte Anforderungen zu stellen. Es gibt zum Beispiel Mütter, die nicht während der Schulferien arbeiten wollen oder behinderte Kinder ablehnen, weil das ein größerer Aufwand ist.«
    »Wollen Sie mein Kind etwa mit einem behinderten Kind vergleichen? Und um welche Behinderung handelt es sich dann bitte? Etwa seine Hautfarbe?«
    Am anderen Ende der Leitung war eine ruhige Frauenstimme zu hören.
    »Mevrouw Dubois, es geht hier nicht um die Hautfarbe. Eine Tagesmutter darf selbst entscheiden, wen sie aufnehmen will und wen nicht.« Es trat eine kurze Stille ein. Calixe atmete schwer vor unterdrückter Wut. »Übrigens finden wir es inzwischen auch sehr lästig, dass Sie bei jeder kleinsten Sache, die nicht so läuft, wie Sie es sich vorstellen, gleich Ihre Hautfarbe ins Spiel bringen. Diese Tagesmutter ist nach eingehender Überlegung zu dem Entschluss gekommen, kein weiteres Kind aufnehmen zu wollen, da sie mit den beiden Pflegekindern, die sie bereits hat, ausgelastet ist.«
    Wütend warf Calixe den Hörer auf.
    David ließ erschrocken das Spielzeug aus der Hand fallen und sah seine Mutter fragend an.
    Calixe ging zu ihrer Handtasche. Die steckten doch alle unter einer Decke. Kein einziges Argument, egal, wie plausibel es auch klingen mochte, konnte sie vom Gegenteil überzeugen. Das Erste, was die Leute sahen, war die Hautfarbe, und das Erste, was die Leute taten, war, alles daranzusetzen, möglichst wenig in Kontakt mit dieser Hautfarbe zu kommen. Als würde es sich um eine ansteckende Krankheit handeln.
    Sie wollte selbst zu der Tagesmutter gehen und sie fragen, welche Probleme sie mit Davids Hautfarbe hatte. Sie hatte ihn doch noch nicht einmal gesehen. Konnte sie denn eine Entscheidung treffen, ohne ihn überhaupt gesehen zu haben?
    Calixe würde ihr David vorstellen, seine Hautfarbe war sogar heller als die ihre. David beobachtete sie weiter mit weit aufgerissenen Augen. Er bemerkte die Unruhe seiner Mutter, und es schien, als wolle er sie nicht noch weiter ärgern. Er gab keinen Laut von sich. Schließlich ließ Calixe die Handtasche auf den Boden fallen und sank in einen Sessel.
    David krabbelte zu ihr hin. Calixe drehte ihm den Rücken zu.
    »Sorg dafür, dass niemand vom Personal etwas davon mitbekommt, sonst fliege ich hier raus. Hier ist seine Flasche. Wenn er anfängt zu quengeln, dann gib sie ihm, das beruhigt ihn. Und schalte den Fernseher ein, wenn er wach wird, Kinderkanal, das funktioniert immer.«
    »Bist du vollkommen verrückt geworden?«
    »Jetzt sei bitte still, ich schaue in einer Stunde wieder vorbei.«
    Noch bevor er antworten konnte, hatte Calixe bereits die Tür hinter sich zugezogen, stand auf dem Flur und machte sich auf den Weg zu Mevrouw Appelmans, die darauf wartete, gewaschen zu werden.
    Meneer Dubois blickte entsetzt zu dem Maxi-Cosi, in dem etwas lag, das friedlich atmete. Nach ein paar Minuten schlurfte er ein Stückchen näher heran, um einen Blick in das Tragegestell zu werfen.
    Ein rundes Milchkaffeegesichtchen, umrahmt von einem Wollmützchen, lag dort und schlief, ohne etwas von den wässrig grauen Augen zu wissen, die es beobachteten.
    Ab und zu saugte das Baby heftig an seinem blauen Schnuller.
    »I«-Herzchen-»daddy« stand darauf. Meneer Dubois fluchte innerlich.
    Er hatte Kinder immer furchtbar gefunden.
    Er konnte sogar von sich behaupten, dass dies das erste Mal in seinem fünfundachtzigjährigen Leben war, dass er einen Menschen dieser Größe aus solcher Nähe sah. Kinder, die ungefähr sechs waren, ja, die hatte er oft gesehen, aber egal, wie sie aussahen, ob es Jungen oder Mädchen waren, er hatte sie immer
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher