Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Über den Wassern

Über den Wassern

Titel: Über den Wassern
Autoren: Robert Silverberg
Vom Netzwerk:
Schultern und erkannte, daß der Rigor mortis bereits einzusetzen begann. Die anderen zwei waren mehr oder weniger noch lebendig - was die Sache für sie nur um so schlimmer machte, denn sie mußten scheußliche Schmerzen haben, sofern sie überhaupt noch bei Bewußtsein waren. Die im Normalzustand glatten torpedoförmigen Körper von etwas mehr als Mannslänge waren von bizarren Buckeln und Knoten bedeckt, jeder Muskel gegen seinen Widerpart gespannt, die golden schimmernde Haut, sonst glatt und seidig, fühlte sich rauh an, voller kleiner Knötchen. Die bernsteingoldnen Augen blickten trübe. Die vorstrebenden Unterkiefer und Kehlsäcke hingen schlaff. Grauer Schleim bedeckte die Schnauzen. Der linke Taucher stöhnte noch immer unablässig alle halbe Minute, und der Laut klang, als risse er sich entsetzlich irgendwie aus den Tiefen seiner Eingeweide los.
    »Kannst du sie wieder hinkriegen, irgendwie?« fragte Delagard. »Kannst du was machen? Irgendwas? Ich weiß, du kannst es, Doc. Du kannst es.« Delagards Stimme klang jetzt drängend und schmeichlerisch, wie er sie nie zuvor gehört hatte. Er war es zwar gewohnt, daß Kranke ihm gottähnliche Kräfte unterstellten und von ihrem Arzt ein Wunder verlangten. Doch weshalb bekümmerte das Schicksal dieser Taucher Delagard dermaßen? Was war hier wirklich im Gange? Ganz gewiß doch empfand Delagard keine Schuldgefühle. Doch nicht Delagard!
    Also sagte Lawler kalt: »Ich bin kein Spezialist für Taucher. Ich beherrsche nur die Humanmedizin. Und selbst darin könnte ich es durchaus ertragen, noch eine Menge dazuzulernen.«
    »Versuch’s doch. Tu was. Bitte!«
    »Der eine ist bereits tot, Delagard. Und Auferweckung von Toten hat nicht zu meiner Ausbildung gehört. Wenn du ein Wunder brauchst, dann hol deinen Priesterfreund Quillan.«
    »Jesus-Christus!«
    »Genau... Wunder sind seine Spezialität, nicht die meinige.«
    »Ogottogott!«
    Lawler tastete aufmerksam am Hals der Taucher nach Pulsschlägen. Bei beiden schlug das Herz noch, gewissermaßen, langsam und unregelmäßig. Bedeutete das, sie lagen im Sterben? Er wußte es nicht. Verdammt, was war bei einem Taucher ein Normalpuls? Woher sollte er so was wissen? Die einzige Chance, dachte er dann, wäre wohl, die zwei noch lebenden Taucher ins Meer zurückzuschaffen, sie in die frühere Tiefe zu bringen und sie dann wieder heraufzuholen, ganz langsam, damit sie unterwegs den überschüssigen Stickstoff abbauen könnten. Aber es gab keine Möglichkeit, das zu tun. Und außerdem war es wohl sowieso bereits zu spät.
    In seiner Bedrängnis strich er ziellos und in einer beinahe mystischen Weise mit den Händen über die verkrümmten Leiber, als könnte er nur durch die Berührung die Stickstoffbläschen austreiben. »Wie tief waren sie drunten?« fragte er, ohne aufzublicken.
    »Das wissen wir nicht genau. Vierhundert Meter vielleicht. Vielleicht auch vier-fünfzig. Der Grund war an der Stelle uneben, und die See umtriebig, also haben wir nicht genau mitgekriegt, wieviel Leine wir runtergegeben haben.«
    Glatt runter bis auf den Meeresboden. Der pure Wahnsinn!
    »Wonach habt ihr da gesucht?«
    »Manganknollen«, sagte Delagard. »Außerdem war da drunten angeblich auch noch Molybdän und vielleicht einiges Antimon. Wir haben mit dem Scoop ein ganzes Mineralienkabinett raufgeholt.«
    »Dann hättest du eben den Löffel nehmen müssen«, sagte Lawler zornig, »um dein Mangan raufzuholen. Nicht die armen Kerle da!«
    Er spürte, wie Wellen den Leib des rechten Tauchers überliefen und wie er konvulsiv zuckte und ihm unter den Händen starb. Der dritte wand sich noch immer, stöhnte noch immer.
    Eine eiskalte giftige Wut packte ihn, genährt ebenso stark von Verachtung wie von Zorn. Das hier war Mord... und hirnloser, abgrunddummer Mord überdies. Taucher waren intelligente Tiere - nicht so intelligent wie die Gillies, aber gescheit genug und zweifellos klüger als Hunde, klüger als Pferde, klüger als irgendeines der übrigen Tiere der Alten Erde, von denen Lawler in den Tagen gelesen hatte, als er noch Geschichten las. Die Meere auf Hydros waren voll von Geschöpfen, die man als intelligent ansehen mußte, und das war eine der bestürzenden Erkenntnisse über diese Welt, daß sie nicht nur die Evolution einer einzelnen intelligenten Art erlebt hatte, sondern anscheinend Dutzende von ihnen. Die Taucher besaßen eine Sprache, sie hatten Individualnamen und eine Art Stammesstruktur. Im Gegensatz zu fast allen übrigen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher