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Über den Wassern

Über den Wassern

Titel: Über den Wassern
Autoren: Robert Silverberg
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erwiderten seinen Blick mit beunruhigender Intensität. Sie sprachen miteinander in hohen Stimmlauten, einen scharfen hallenden Klirrton wie dem von Beilen auf dem Amboß.
    Von irgendwo tauchte Gabe Kinverson auf und plazierte sich halbwegs zwischen Lawler und Thane an der Reling. Kinverson, ein sehniger Riese mit einem flachen windverbrannten Gesicht, hatte die Werkzeuge seiner Tätigkeit dabei: ein Bündel Haken und Schnur und eine lange Angelrute aus Holzkelp. »Drakkens«, brummte er. »Was für Mistviecher. Einmal bin ich mit meinem Boot und einem Zehnmeter-Seeleoparden im Schlepp heimgefahren, und fünf Drakkens haben ihn mir glatt vom Haken gefressen. Und ich konnte verdammt gar nichts dagegen machen.« Kinverson hob eine zerbrochene Belegpinne auf und schleuderte sie ins Wasser. Die Drakkens stürzten sich darauf, als wäre es ein Köder, schoben sich schulterhoch in die Luft, schnappten von allen Seiten danach und wippten wütend; dann ließen sie den Pflock sinken, und er verschwand.
    »Aber sie können doch wohl nicht an Bord raufkommen?« fragte Lawler.
    Kinverson lachte. »Nein, Doc. An Bord kommen können sie nicht. Zu unserm Glück.«
    Die schätzungsweise dreihundert Drakkens schwammen mehrere Stunden lang neben den Schiffen her, konnten mühelos die Reisegeschwindigkeit mithalten, stießen die bösartigen Schnauzen in die Luft und keiften und gellten unablässig ihre bedrohlichen Vokalkommentare. Aber gegen die Morgenmitte tauchten sie alle zusammen ab und außer Sichtweite und wurden nicht mehr gesehen.
    Kurz darauf braßte der Wind auf. Die Matrosen der Tageswache kletterten geschäftig in der Takelung umher. Hoch drüben im Norden kristallisierte sich schwarz ein kleiner Sturmregen zusammen, direkt unter einer gemein aussehenden Wolkendecke, und schleifte einen steilen dunklen Netzvorhang mit sich, der nicht ganz bis zur Oberfläche der See reichte. In der Nähe der Schiffe behielt die Luft ihre trockene Durchsichtigkeit, bekam aber eine knisternde Schärfe.
    Lawler stieg unter Deck. Dort wartete Arbeit auf ihn, allerdings nichts besonders Anstrengendes dabei. Neyana Golghoz hatte eine Blase an ihrem Knie; Ehrwürden Father Quillan war aus seiner Koje gefallen und hatte sich eine Prellung am Ellbogen zugezogen; Leo Martello hatte Sonnenbrand auf dem Rücken. Als Lawler die Patienten versorgt hatte, rief er alle übrigen Schiffe vorschriftsmäßig über Funk, um festzustellen, ob es auf ihnen irgendwelche medizinischen Probleme gebe. Gegen Mittag stieg er wieder an Deck, um frische Luft zu schöpfen. Nid Delagard, der Reeder der Flottille und Leiter der Expedition, besprach sich gerade mit dem Kapitän des Flaggschiffes, Gospo Struvin, am Ruderhaus. Ihr Lachen hallte hemmungslos über die ganze Länge des Schiffsdecks. Die beiden waren aus dem gleichen Holz geschnitzt, klobige stiernackige Kerls, stur und ordinär, voll einer grobschlächtigen Energie.
    »He, Doc, hast du heut früh diese Drakkens gesehn?« brüllte Struvin herüber. »Süße Krabben sind die, was?«
    »Ja. Sehr hübsch. Was wollten sie denn von uns?«
    »Uns auf den Zahn fühlen, nehme ich an. Man kann in dieser See nicht weit reisen, bevor irgendwas auftaucht und einen neugierig beschnüffelt. Wir werden noch ‘ne ganze Menge anderer unzivilisierter Besucher kriegen auf dieser Fahrt. Da, schau mal, Doc... steuerbord!«
    Lawler folgte der ausgestreckten Hand des Captains. Dicht unter der Meeresoberfläche wurde die blasige, ungefähr kugelige Gestalt eines riesenhaften Geschöpfes erkennbar. Es sah aus wie ein vom Firmament gestürzter Mond, grünlich, riesig und ganz von Pockennarben bedeckt. Nach einer Weile erkannte Lawler, daß die Narben in Wirklichkeit rundliche Mundöffnungen waren, die dicht beisammen auf der gesamten kugeligen Oberfläche saßen und sich regelmäßig öffneten und schlossen. Hunderte schluckender Mäuler, unablässig an der Arbeit. Tausende vielleicht. Eine Myriade langer bläulicher Zungen, die geschäftig vor und zurück durch das Wasser peitschten. Das Ding war nichts als lauter Mäuler, eine gewaltige im Meer schwebende Freßmaschine.
    Lawler besah sich das Geschöpf mit einigem Ekel. »Was ist denn das?«
    Doch Struvin hatte keinen Namen dafür. Und Delagard ebenfalls nicht. Es war eben nur ein anonymer Meeresbewohner, etwas Häßliches und Monströses, dein persönliches Horrording in Großformat, das da eben mal vorbeischaute, um festzustellen, ob es in dem kleinen Konvoi von Fahrzeugen irgend
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