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Ueber den Horizont hinaus - Band 1

Ueber den Horizont hinaus - Band 1

Titel: Ueber den Horizont hinaus - Band 1
Autoren: Sigrid Lenz
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Grunde keine Erklärung gab.
     
    Eduard riss ihn aus seinen trüben Gedanken.
    "Hier", sagte er und ließ seine Finger über einen Balken streifen, der die nicht allzu hohe Decke stützte. "Ich denke, dass der immens wichtig für die Stabilität ist. Und in all den anderen Bauwerken, die ich mir angesehen habe, gab es keinen."
    "Hm." Vincent betrachtete ihn, den Winkel zur Wand, klopfte hier und da dagegen, lauschte, nickte. "Wirkt auf jeden Fall stabil", sagte er. "Sofern ich mich nicht sehr irre, ist die Konstruktion durchdacht und hält einiges aus. Was aber nicht heißen muss, dass ohne diese sichtbaren Querbalken ein Gebäude weniger sicher ist." Er räusperte sich. "Ich denke, dass ihr euch in diesem hier keine Sorgen machen müsst." Er lächelte halb. "Es wird euch nicht auf den Kopf fallen."
    "Ach, das ist aber beruhigend", erwiderte eine Stimme aus der Richtung einer offen stehenden Seitentür. Ein leichter Akzent verlieh der Sprache eine angenehme Note und die Frau, die aus dem Türrahmen trat, trug so volles Haar wie Eduard, sah ihm dennoch nicht ähnlich, war jedoch auf ihre eigene Weise ausnehmend attraktiv. Doch der Unterton ihrer Worte enthielt eine Bedeutung, die Vincent im Augenblick nicht zu deuten wusste.
    Eduard rollte mit den Augen und wieder registrierte Vincent den Hauch von Nervosität, den er inzwischen bewusst als hinreißend erkannte. Rasch sah er weg.
    "Lale", sagte Eduard ebenso schnell. "Das ist Vincent, Gast im Hotel. Vincent, das ist Lale, meine Stiefmutter."
    "Sag das nicht", tadelte sie ihn. "Das klingt so nach einem dieser Grimms Märchen."
    Eduard lachte. "Die musst du doch nicht lesen."
    "Sie haben sich in mein Unterbewusstsein eingegraben", behauptete Lale. "Dein Vater bestand darauf, dass ich sie dir und deinen Geschwistern vorlas. Ich hab nie wirklich begriffen warum."
    Eduard schüttelte den Kopf. "Ich mochte deine Geschichten ohnehin viel lieber."
    "Natürlich war das so", nickte Lale. "Sie sind von hier."
    Offensichtlich reichte ihr das als Grund und Vincent fand heraus, dass er keinerlei Einwände erheben wollte. Dass die Märchen anderer Gesellschaften grausamer und gerade der heutigen Jugend schwerer beizubringen waren als die, mit denen er aufgewachsen war, konnte er sich kaum vorstellen.
    "Also." Lale sah ihn neugierig an. "Vincent, der Hotelgast." Ihr Blick wanderte zu Eduard. "Du hast noch nie jemanden mitgebracht."
    Eduard wurde rot und Vincent lächelte in sich hinein.
    "So ist das nicht", protestierte Eduard. "Ich wollte, dass er sich das Haus ansieht. Weil - er ist vom Fach und du weißt, dass ich schon lange plane, aus diesen angefangenen Baustellen etwas zu machen. Dass unsere Leute seit dem letzten Regen in provisorischen Hütten hausen ist nicht in Ordnung."
    "Verstehe", nickte Lale. "Aber du weißt, dass sie nicht riskieren, wieder etwas aufzubauen, das dann weggeschwemmt oder weggepustet wird."
    "Deshalb brauchen wir Unterstützung", ereiferte sich Eduard. "Leute, die ein Fundament so errichten, dass nicht alles beim ersten Regentropfen zerfällt."
    Nun sahen beide erwartungsvoll auf Vincent und der wünschte sich, im Erdboden verschwinden zu können. Mit oder ohne Fundament.
    Er räusperte sich. "Ich habe Eduard schon gesagt, dass ich nicht viel dazu sagen kann." Er räusperte sich erneut, begann zugleich, sich für diesen Tick zu genieren. "Dazu benötigt man Wetteranalysen, Kostenvoranschläge und genauere Informationen über das Material, das in Frage kommt, und noch viel mehr."
    "Aha." Lale sah Eduard bedeutungsvoll an.
    "Es wäre ein Anfang", sagte der und hielt ihren Blick.
    "Sicher." Sie zwinkerte ihm zu.
    "Hat mich gefreut, Sie kennenzulernen", nickte sie und drehte sich, sah noch einmal über die Schulter. "Vielleicht sieht man sich noch einmal."
    "Das wäre schön", erwiderte Vincent höflich und als er wieder zu Eduard sah, war der erneut rot angelaufen. Die Farbwechsel zu beobachten wurde tatsächlich mit jedem Mal interessanter. Wie Bronze, die einen warmen, kupfernen Schimmer annahm und Wärme ausstrahlte, die nichts mit der Hitze der Umgebung zu tun hatte. Doch bevor er darüber nachdenken konnte, seufzte Eduard und sah Lale nach.
    "Das hasse ich", sagte er und das Rot wich aus seinen immer noch dunklen Wangen.
    "Was?", fragte Vincent verwirrt.
    "Dass sie alle glauben, sie könnten mich durchschauen, als bestünde ich aus Glas." Er seufzte wieder, hob die Hände, ließ sie hilflos wieder sinken. "Dabei wollte ich immer geheimnisvoll
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