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Ueber den Horizont hinaus - Band 1

Ueber den Horizont hinaus - Band 1

Titel: Ueber den Horizont hinaus - Band 1
Autoren: Sigrid Lenz
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er nippte. Seine Augen sprangen auf und er nickte.
    "Gut, nicht wahr?", fragte der Barkeeper und Vincent sah auf. "Sehr gut", antwortete er automatisch, bevor er den Mann einer genaueren Musterung unterzog. Tatsächlich sah der blendend aus, und das sollte ihn nicht überraschen. Sicher achtete das Hotel auf die Einstellung äußerlich anziehenden Personals, insbesondere wenn dieses als Blickfang hinter dem Tresen Tage und Nächte zubrachte.
    Sein Haar war dunkel und lang, zurückgebunden, seine Züge exotisch, auch wenn Vincent seine Herkunft beim besten Willen nicht einordnen konnte. Braungebrannt war er wie jeder, der hier länger als zwei Urlaubswochen verweilte, schlank und groß. Die weißen Shorts und das hellblaue Hemd, das er weit genug offen trug, um einen Teil seiner Brust zu offenbaren, schmeichelten ihm. Vincent starrte wohl etwas zu lange, denn die interessant geschwungenen Lippen formten sich zu einem Lächeln.
    "Mein Rezept", gab der Barkeeper an. "Ich habe versucht, die Insel einzufangen, das Meer und den Wind.
    "Ist gelungen", sagte Vincent, klang in seinen eigenen Ohren etwas heiser, räusperte sich. "Ich hatte befürchtet, dass der Drink süß ist, aber das trifft nicht zu."
    "Nur ein Spritzer Likör", nickte der Barkeeper. "Genug, um die Farbe zu vertiefen, nicht genug, um den Gaumen zu verkleben."
    "Sicher ein Hit." Vincent räusperte sich erneut.
    Der Barkeeper lächelte wieder. "Eduard", stellte er sich vor.
    "Vincent", murmelte Vincent als Antwort.
    "Freut mich." Eduard lehnte sich ein wenig nach vorne. "Ich habe den Eindruck als entspräche der Urlaub nicht ganz Ihren Vorstellungen. Liege ich richtig?"
    Vincent sah ihn verdutzt an. "Nun", sagte er gedehnt, unschlüssig, was er antworten sollte.
    Eduard zuckte mit den Schultern. "Barkeeper", sagte er erklärend. "Als erstes lernt man, in den Gästen zu lesen." Er lächelte entwaffnend und eine Strähne löste sich, fiel ihm in die Stirn.
    "Wären Sie eine junge Frau, hätte ich noch etwas Kokossahne beigemischt, auf Wunsch Schokoladensirup. Bei Ihnen allerdings wusste ich sofort, was Sie wollten."
    Wider Willen lächelte Vincent. "Bin ich so durchschaubar?"
    Erneut zuckte Eduard mit den Schultern. "Zumindest für mich", gab er zu, ein wenig verlegen. "Außerdem habe ich Ihre Blicke gesehen, wenn die sich auf den Horizont richteten."
    "Was - wann?"
    Eduard legte den Kopf schief, strich das in sein Gesicht fallende Haar zurück. "Überall", sagte er. "Am Strand, am Schwimmbad, im Palmenhain."
    "Hm." Vincent runzelte die Stirn. "Und was verraten Ihnen meine Blicke?"
    Eduard nickte nachdenklich. "Dass Sie sich etwas anderes vorgestellt haben."
    Vincent atmete aus. "Kommt das so selten vor?"
    "Nein." Eduard schüttelte den Kopf. "Da besteht immer ein Unterschied zwischen Wunschtraum und der Wirklichkeit. Es ist einfach, den Ozean aus der Ferne zu lieben. Aus der Nähe, wenn er tote Quallen und Plastiktüten anspült, zeigt sich ein anderes Bild als auf den Werbepostern."
    "Das ist wohl wahr", nickte Vincent. "Aber ich weiß nicht, ob es daran liegt. Nicht nur zumindest."
    "Dann wären die Hitze, die gut genährten und für einen Europäer riesigen Insekten", fuhr Eduard fort. "Gifte in Pflanzen und Tieren, Krankheiten, Sonnenbrand und irgendwann die Langeweile."
    "Okay, ich habe verstanden." Vincent hob entschuldigend beide Hände. "Ich weiß, als Tourist tauge ich nicht viel. Zu meiner Verteidigung kann ich nur anführen, dass ich außerhalb meines Urlaubs schlechte Laune verbreite."
    Eduard lachte. "Ehrlich gesagt, ziehe ich ein wenig jahreszeitbedingte Schwermut der hyperaktiven Zerstörungswut anderer vor, die glauben, sich auf Reisen all das erlauben zu dürfen, was sie sich sonst verbieten. Ungeachtet derer, die dann die Folgen ausbaden."
    "Verstehe." Vincent lächelte zurück.
    "Das weiß ich." Eduard schien plötzlich ernst. "Mein Eindruck ist der, dass Sie nicht zufrieden sind mit dem, was ihnen die Branche bietet. Dass sie ein wenig hinter die Kulissen sehen wollen, vielleicht mehr von der Insel kennenlernen."
    Vincent leckte sich über die Lippen. "Ich bin nicht sicher. Dass es so schwül ist, kaum auszuhalten, besser gesagt, treibt mich immer wieder in den Schatten, in die Nähe des Wassers und in den Bereich einer Klimaanalage wie hier. Traurig aber wahr. Meine Energie reicht nicht aus, um mich durch die Hitze zu quälen."
    Eduard nickte. "Nur, so geht es jedem. Den Menschen, die hier leben, die hier geboren sind, ebenso wie Gästen
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