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Ueber den Horizont hinaus - Band 1

Ueber den Horizont hinaus - Band 1

Titel: Ueber den Horizont hinaus - Band 1
Autoren: Sigrid Lenz
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stahl.
    Niemand bemerkte den bitteren Zug um Liams Mundwinkel, als er mit einer Verbeugung zur Seite wich, den Raum seinen Kollegen überließ, die den Hauptteil der im Anschluss folgenden Szene zu bestreiten hatten.
Niemand außer Nathan sah, dass er sich gegen die Dekoration lehnte, unsicher tastend eine Hand nach dieser ausstreckte, bevor sie ihm Halt gewährte.
    Niemand sah den harten Glanz in seinen Augen, der nur von absoluter Selbstbeherrschung und dem unbeugsamen Willen herrührte, die Aufführung zu beenden, koste es was es wolle.
    Auch als Nathan schließlich an der Reihe war, das Schlachtfeld zu betreten und seinen Teil in dem Finale zu leisten, fielen ihm die rasselnden Atemzüge des Herrschers, die Anzeichen steigender Erschöpfung auf, lenkten ihn von seiner eigenen Aufgabe, so klein sie auch war, empfindlich ab.
    Er fühlte, dass Liam litt, spürte dessen Qual, ohne sie sehen zu können. Auch wenn Liam sich stolz aufrecht hielt, auch wenn er die Vorführung tapfer beendete, ohne dass jemand außer Nathan etwas zu bemerken schien, so wusste, hörte Nathan doch allein an der Stimme des anderen, dass ihm weder Worte noch Töne so leicht und schwerelos von den Lippen perlten, wie es ansonsten ihre Gewohnheit war.
    Der Vorhang sank und Beifall brandete auf. Nathan rollte sich zur Seite, erhaschte einen Blick auf Liam. Dieser stand vornübergebeugt, sein Gewicht lastete auf dem unbeschädigten Bein, erlaubte dem Publikum den Blick auf die erstarrte Szenerie, auf den geschlagenen König, der inmitten seiner gefallenen Krieger aufragte. Liam hatte sich erhoben, strahlte in die Menge, verbeugte sich mit einer eleganten Handbewegung, der Geste, die er allabendlich wiederholte.
    Auch an diesem Abend büßte sie nichts von ihrer Magie ein, zwang die Zuschauer, sich von ihren Sitzen zu erheben und ihrer Begeisterung Ausdruck zu verleihen.
    Ein weiterer Vorhang folgte und mit ihm eine weitere Atempause. Danach das endlose Vorbeiziehen der einzelnen Darsteller, nachdem der Vorhang gefallen war. Und wieder von vorne, mit weniger oder mehr Personen. Die Hauptdarsteller einzeln. Ein nicht enden wollender Strom, eine nicht enden wollende Geräuschkulisse aus klatschenden Händen, begeisterten Rufen.
    Der Zauber der Musik, die Entführung in das Leben phantastischer Sagengestalten, das war es, was die Menschen immer und immer wieder in dieses Theater zog. Das war es, was auch in Nathan die Sehnsucht erweckt hatte, Teil dieses Zaubers sein zu dürfen, auch wenn die Realität anders aussah.
    Sich zurückziehende Darsteller schoben und drängten ihn zur Seite, wiesen ihm unabsichtlich den Weg zur Garderobe, zum Ausgang.
    Nur fort von dem Ort hinter der Bühne, an dem das Geschehen stattfand. Dem Ort, an dem Glückwünsche ausgetauscht, Kontakte geknüpft, der Abend, die Arbeit einen Ausklang und ihr Ende fand.
    Fort von Liam, dessen unter der Maske erblasste Miene, dessen schmerzerfüllter Gesichtsausdruck, durchzogen von bislang verborgen gebliebenen, zusätzlichen, doch urplötzlich hervorgetretenen Falten, sich für immer in Nathans Erinnerung gegraben hatte.
    Der Abbau, ein Rückzug begann und Nathan schlängelte sich durch die Menge, zögerte den Moment heraus, der die Rückkehr in sein kaltes, unbequemes Zimmer bedeutete.
    Was er wollte, wusste er nicht in Worte zu fassen. Nur, dass er bleiben musste, dass ihn etwas Unaussprechliches in diesem Gebäude allabendlichen Zaubers festhielt. Eine undefinierte Sehnsucht, die ihn zwang auszuharren, die ihn dazu brachte, das langsame Verlassen, Erkalten, Erlöschen der Pracht mitanzusehen, die keine Pracht mehr sein durfte, wurde ihr das Publikum entrissen.
    Er spähte über die Köpfe. Versuchte einen Blick zu erhaschen, versuchte zu erkennen, wer Liam wegführte, wer dafür sorgte, dass der die Ruhe fand, die er brauchte. Wer sich um ihn kümmerte, jetzt, da er Fürsorge benötigte.
    Die üblichen gesichtslosen Anhänger scharrten sich um seine aufrechte Gestalt, zogen ihn mit sich. Wollten ein Stück von ihm hier, ein Stück von ihm dort. Eine Feier, einen Umtrunk, eine Ehrung, zu der Nathan nicht zugelassen war, niemals zugelassen sein würde.
    Bestimmt hatten sie ihn längst in Beschlag genommen. Mit Sicherheit fort geführt in die Welt, die nicht die seine, die nicht Nathans Welt war.
    Das Lachen und Lärmen verstummte. Nathan vernahm das Klacken der letzten Scheinwerfer, die ausgingen.
    Türen fielen ins Schloss. Dunkelheit senkte sich über ihn.
    Nathan schüttelte den
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