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Über Bord

Titel: Über Bord
Autoren: Ingrid Noll
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Amalia geht.«
    »Mutter, Uwe ist ein echter Odenwälder. Und er verdient sein Geld, indem er anderen Leuten den Computer repariert, programmiert oder ihnen hilft, wenn sie Mist gebaut haben. Leider hat er sein Studium geschmissen, ich glaube, es war Maschinenbau oder Elektrotechnik.«
    Beide schabten etwas trübsinnig an den bräunlichen Kartoffelschalen herum, kratzten das letzte Restchen heraus und sagten nichts mehr. Hildegard ahnte, dass auch ihre Tochter über Amalias langen Uwe nicht gerade jubilierte. Und sie wusste inzwischen, dass es auch bei der älteren Tochter nicht gerade Grund zur Freude gab: Clärchens Partner war 20 Jahre älter als sie, noch nicht geschieden und hatte zwei Kinder im Teenageralter. Beide Männer entsprachen bestimmt nicht Ellens Vorstellung von einem idealen Schwiegersohn.
    Der Montag war noch nie Amalias Ding gewesen. Sie hatte die halbe Nacht bei Uwe verbracht, der sie erst gegen drei Uhr ins Nonnenhaus zurückfuhr. Nun war sie müde, das Wartezimmer war überfüllt, die Chefin fluchte wie ein Landsknecht, eine hysterische Patientin hatte so schlechte Venen, dass die Blutentnahme erst nach mehrmaligem Stechen gelang. Amalia sehnte sich nach der Mittagspause und einem starken Kaffee. Meistens traf sie sich mit ihrer Schulfreundin Katja, die als pharmazeutisch-technische Assistentin in einer Apotheke arbeitete. Auch diesmal saßen sie nach dem Mittagessen bei einem Latte macchiato am Marktplatz und tauschten Neuigkeiten aus.
    Obwohl es ja laut Ermahnung ihrer Mutter ein Geheimnis bleiben sollte, vertraute Amalia ihrer besten Freundin alles über die spannende Begegnung mit ihrem neuen Onkel an.
    »Ich möchte ja zu gern wissen, ob es stimmt«, sagte sie. »Aber meine Mutter will keinen Gentest machen lassen. Außerdem komme ich bei mir in der Praxis an keinen ran.«
    Katja bot sich sofort als Komplizin an. Sie werde einfach ein Testset über die Apotheke bestellen, dann könne Amalia – ohne ihre Mutter einzuweihen – dem neuen Onkel das Überraschungsei zuschicken. »Der soll die Box mit seiner eigenen und deiner Probe an ein DNA -Labor weiterleiten und auch dafür bezahlen, denn das wird teuer. Schaden tun wir damit niemandem«, meinte Katja beschwichtigend.
    Zwei Wochen später schritt Amalia zur Tat und kontaktierte ihren Halbonkel. Klingt fast wie Halbaffe, dachte sie. Einen längeren Brief wollte sie eigentlich nicht verfassen, also suchte sie eine schöne Postkarte aus der Region und schrieb in ihrer kindlichen, steilen Schrift:
    Lieber Gerd,
    meine Mutter ist beruflich sehr eingespannt, deswegen habe ich es übernommen, etwas Klarheit in unsere verwandtschaftlichen Beziehungen zu bringen. Ich schicke Dir hiermit ein Safekit, also eine Box mit zwei sterilen Wattestäbchen für Dich selbst, zwei mit meiner Speichelprobe sowie einer Gebrauchsanweisung, wie Du weiter verfahren musst. Ich bin sehr gespannt auf das Ergebnis!
LG
Deine Nichte? Amalia
    Nach einer Woche schaute sie täglich in den Briefkasten, ob Onkel Gerd vielleicht schon geantwortet hatte. Bestimmt hatte er das Päckchen sofort an das zuständige Genlabor geschickt.
    Aber so war es nicht. Gerd las die Karte mit Erstaunen und machte sich seine Gedanken. Woher sollte er wissen, ob der Abstrich tatsächlich aus der Mundschleimhaut von Amalia entnommen war? Bei einem Abstammungsgutachten musste – zumindest nach seinem Wissensstand – jede Probeentnahme in Gegenwart einer unabhängigen Person erfolgen, damit die Identität der Beteiligten überprüft und bestätigt werden konnte. Mit großer Wahrscheinlichkeit hatte jemand aus Amalias Bekanntenkreis die Wattestäbchen in den Mund gesteckt, und seine mutmaßliche Schwester hoffte jetzt, jeden Verdacht an einer möglichen Verwandtschaft aus dem Weg räumen zu können. Bei seinem Besuch hatte vor allem Ellen sehr abweisend reagiert. Es gab wohl viele Töchter, die ihren Papa auf einen Sockel stellten und nichts von seinen Schattenseiten hören wollten. Amalia hatte bestimmt versucht, ihrer Mutter zu helfen.
    Also schob Gerd Dornfeld die Box vorerst einmal ganz nach hinten in den Kühlschrank.

4

    Ellens ältester Bruder Matthias Tunkel wohnte in der Fichardstraße im Frankfurter Westend. Eigentlich hatte er den wirren Anruf seiner Schwester schon fast vergessen, als er an einem sonnigen Samstag von seiner Frau aufgefordert wurde, eine Packung Aspirin zu besorgen und außerdem ihre Post einzuwerfen. Sie selbst mochte nicht mitkommen, weil sie stark erkältet
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