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Twig im Dunkelwald

Twig im Dunkelwald

Titel: Twig im Dunkelwald
Autoren: Paul Stewart
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zusammen: der gemeinsame Hass auf die gefürchteten Himmelspiraten, die mit ihren Schiffen den Himmel über dem Klippenland beherrschen und glücklose Kaufleute, die ihren Weg kreuzen, ausrauben.
    In der Mitte von Unterstadt ist ein großer, eiserner Ring in den Boden eingelassen. Er hält eine lange und schwere Kette, die zum Himmel aufsteigt und abwechselnd straff gespannt ist und locker durchhängt. Am Ende der Kette schwebt ein riesiger Felsen.
    Dieser Felsen ist wie die anderen schwebenden Felsen des Klippenlandes in den Steinernen Gärten gewachsen – er drückte von unten durch den Boden, wuchs, wurde von darunter nachwachsenden Felsen noch weiter hinausgedrückt und vergrößerte sich noch mehr. Als er so groß und leicht war, dass er vom Boden abhob, wurde er an der Kette befestigt. Auf ihm wurde eine prächtige Stadt errichtet: Sanktaphrax.
    Sanktaphrax mit seinen hohen, durch Stege und Brücken verbundenen Türmen ist ein Hort der Gelehrsamkeit. Dort leben Wissenschaftler und Alchemisten mit ihren Gehilfen und es gibt Bibliotheken, Laboratorien, Vortragssäle, Speisesäle und Gemeinschaftsräume. Die mysteriösen Dinge, die man dort lernt, sind ein streng gehütetes Geheimnis und Sanktaphrax ist bei aller scheinbaren Entrücktheit und Weltfremdheit ein siedender Kessel von Eifersüchteleien, Intrigen und bitterem Zank.
    Der Dunkelwald, die Nebelkante, der Dämmerwald, die Modersümpfe, die Steinernen Gärten, Unterstadt und Sanktaphrax, der Klippenfluss – das sind bislang nur Namen auf einer Karte.
    Doch zu jedem Namen gehören tausend Geschichten, auf uralten Pergamentrollen aufgezeichnet und von Generation zu Generation mündlich überliefert, Geschichten, die heute noch erzählt werden.
    Was folgt, ist nur eine davon.

 
KAPITEL 1
    Die Schnappholds
     
    T wig saß zwischen den Knien seiner Mutter auf dem Boden und fuhr mit den Zehen durch das dicke Tilderfell. In der Hütte war es kalt und zugig. Twig beugte sich vor und machte die Ofentür auf.
    »Ich erzähle dir jetzt, wie du zu deinem Namen gekommen bist«, sagte seine Mutter.
    »Aber ich kenne die Geschichte doch schon, Mütterlein«, protestierte Twig.
    Spelda seufzte. Twig spürte ihren warmen Atem im Nacken und roch das in Essig eingelegte Wabbelkraut, das sie zu Mittag gegessen hatte. Er zog die Nase kraus. Er verabscheute Wabbelkraut, zumal wenn es in Essig eingelegt war, wie er überhaupt viele der Dinge verabscheute, die Waldtrolle mit Vorliebe verspeisten. Wabbelkraut war glibberig und roch nach faulen Eiern.
    »Diesmal kommt noch etwas dazu«, hörte er seine Mutter sagen. »Diesmal erzähle ich die Geschichte zu Ende.«
    Twig runzelte die Stirn. »Ich kenne das Ende doch schon.«

    Spelda zauste die dicken schwarzen Haare ihres Sohnes. Er ist so schnell gewachsen, dachte sie und wischte sich eine Träne von der knubbeligen Stupsnase. »Eine Geschichte kann viele Enden haben«, sagte sie traurig. Das purpurrote Licht der Flammen spielte über Twigs hohe Wangenknochen und sein spitzes Kinn. »Du warst vom Augenblick deiner Geburt an anders«, begann sie wie immer.
    Twig nickte. Es war schlimm gewesen, sehr schlimm, als Kind anders zu sein. Trotzdem stellte er sich gern vor, wie überrascht seine Eltern bei seiner Geburt gewesen sein mussten: ein Baby mit dunklen Haaren, grünen Augen, glatter Haut und Beinen, die schon damals zu lang für einen Waldtroll waren.
    Twig starrte ins Feuer. Das Luftholz brannte hervorragend. Polternd fielen die Scheite im Ofen durcheinander, tiefrote Flammen schlugen aus dem Holz.
    Die Waldtrolle verwendeten ganz verschiedene Holzarten, von denen jede besondere Eigenschaften hatte. Duftholz zum Beispiel roch beim Verbrennen angenehm und wer den Duft einsog, verfiel in einen von Träumen erfüllten Schlummer. Das Holz des silbern-türkisfarbenen Wiegenliedbaums wiederum sang, wenn Flammen an seiner Rinde leckten, seltsam traurige Lieder, nicht nach jedermanns Geschmack. Und dann gab es die Bluteiche samt dem auf ihr lebenden Parasiten, dem Schlingwürger, einer dornigen Kletterpflanze.
    Bluteichen zu fällen war ein gefährliches Unterfangen. Allzuleicht fielen Trolle, die in Waldkunde nicht aufgepasst hatten, dem Hunger des Baums auf Fleisch zum Opfer. Die Bluteiche und der Schlingwürger gehörten zu den gefährlichsten Pflanzen des Dunkelwalds.
    Außerdem konnte man mit dem Holz der Bluteiche zwar hervorragend heizen und es roch und sang nicht, doch nur wenige ertrugen, wie es beim Verbrennen stöhnte und
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