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Twig im Dunkelwald

Twig im Dunkelwald

Titel: Twig im Dunkelwald
Autoren: Paul Stewart
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alle wissen, dass er getroffen hatte.
    Er blieb stehen. Die Hälfte der gegnerischen Mannschaft war nur noch einige Schritte von ihm entfernt. Er konnte nicht mehr weiter vor und nicht mehr zurück. Er sah sich nach dem Korb um. So nah und noch so weit weg und er wollte doch unbedingt treffen, mehr als alles andere. Plötzlich war ihm, als hörte er ein feines Stimmchen in seinem Kopf sagen: »Worauf wartest du noch? In den Spielregeln steht nicht, dass man auf dem Weg bleiben muss.« Twig sah wieder zum Korb und schluckte aufgeregt. Dann tat er, was noch kein Waldtroll je getan hatte: Er verließ den Weg. Er rannte auf den Korb zu und das lange Gras peitschte seine nackten Beine.
    »ZEHN, ELF … ZWÖLF!«, schrie er, sprang hoch und warf die Blase von oben durch den Korb. »Bohnenblase!«, rief er und sah sich glücklich um. »Vierundzwanzig Punkte. Ich habe eine Boh …« Er brach ab. Die Waldtrolle beider Mannschaften starrten ihn böse an. Niemand jubelte, niemand schlug ihm auf den Rücken.
    »Du hast den Weg verlassen!«, rief einer.
    »Das darf man nicht«, rief ein anderer.
    »Aber … aber …«, stotterte Twig. »In den Regeln steht nicht, dass …«
    Aber die andern hörten ihm nicht zu. Natürlich wussten sie, dass in den Regeln nicht stand, man müsse auf den Wegen bleiben. Aber warum auch? Kein Waldtroll verließ je den Weg, weder im Spiel noch im alltäglichen Leben. Das wurde als selbstverständlich vorausgesetzt. Eine Regel dazu wäre so sinnvoll gewesen wie etwa die Regel, dass man mit Atmen nicht aufhören durfte!
    Dann plötzlich, wie auf ein vorher festgelegtes Zeichen, fielen alle über Twig her. »Du langer Lulatsch, du dämlicher«, schrien sie und droschen auf ihn ein. »Du Missgeburt!«
    Brennende Schmerzen schossen durch seinen Arm. Es war, als würde er gebrandmarkt. Er sah hoch. Zwei Hände mit harten, spatelförmigen Fingern hatten seinen Unterarm gepackt und verdrehten ihn bösartig.

    »Hoddergrob«, flüsterte Twig.
    Die Schnappholds und die Grobknots waren Nachbarn. Twig und Hoddergrob waren innerhalb einer Woche geboren worden und wuchsen zusammen auf. Twig hatte gedacht, sie seien Freunde.
    Hoddergrob verzerrte höhnisch das Gesicht und verdrehte den Arm noch stärker. Twig biss sich auf die Lippen und hielt krampfhaft die Tränen zurück. Nicht wegen der Schmerzen in seinem Arm – die konnte er aushalten –, sondern weil er jetzt auch noch Hoddergrob gegen sich hatte. Übel zugerichtet und blutend, war er nach Hause geschlichen. Was ihn am meisten schmerzte, war die Tatsache, dass er seinen einzigen Freund verloren hatte. Nun war er also auch noch ganz allein.
    *
    »Von wegen etwas Besonderes !« Twig schnaubte.
    »Doch«, sagte Spelda. Und leise fügte sie hinzu: »Das fiel sogar den Himmelspiraten auf, als sie dich sahen. Deshalb hat dein Vater ja …« Die Stimme versagte ihr. »Deshalb haben wir … Deshalb musst du von zu Hause fort.«
    Twig erstarrte. Von zu Hause fort? Was meinte seine Mutter? Er drehte sich um und sah, wie sie weinte.
    »Das verstehe ich nicht«, sagte er. »Du willst, dass ich weggehe?«
    »Ich doch nicht, Twig«, schluchzte sie. »Aber du wirst in wenigen Tagen dreizehn. Ein Erwachsener. Was willst du dann tun? Bäume fällen wie dein Vater kannst du nicht. Du … hast dafür nicht die richtige Statur. Und wo willst du leben? Unsere Hütte ist schon jetzt zu klein für dich. Und jetzt, wo die Himmelspiraten von dir wissen …«
    Twig wickelte die Haarsträhne noch weiter um den Finger. Vor drei Wochen war er mit seinem Vater tief in den Dunkelwald hineingegangen, bis dorthin, wo die Waldtrolle Bäume fällten und das Holz für die Himmelspiraten zuschnitten.
    Im Gegensatz zu seinem Vater, der auch unter den tiefsten Ästen noch aufrecht gehen konnte, hatte Twig sich bücken müssen. Und selbst dann war er noch zu groß gewesen. Immer wieder hatte er sich den Kopf angeschlagen. Seine Kopfhaut war voller feuerroter Schrammen gewesen. Das letzte Stück zu der Lichtung hatte er auf Händen und Knien kriechen müssen.
    »Unser neuer Lehrling«, hatte Tuntum zu dem Himmelspiraten gesagt, der für die Lieferung an jenem Morgen zuständig war.
    Der Pirat sah von seinem Notizbrett auf und musterte Twig. »Ist er dafür nicht zu groß?«, fragte er und vertiefte sich wieder in die Papiere.
    Twig starrte den Himmelspiraten unverwandt an. Er war hoch gewachsen und aufrecht und sah mit seinem Dreispitz, dem schön gearbeiteten ledernen Brustharnisch, den
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