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Turm der Lügen

Turm der Lügen

Titel: Turm der Lügen
Autoren: Marie Cristen
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Kind auf dem Weg von Orléans nach Paris in der Burg von Dourdan zur Welt. Vermutlich hatte sie die Reise wohlweislich zu diesem Zeitpunkt angetreten. Fern von Paris war es leichter, den kühnen Betrug durchzuführen, falls sie wieder mit einem Mädchen niederkommen sollte.
    Tage vor Mahauts Niederkunft hatte ihre Kammermagd Lise, Loups Gemahlin, ebenfalls ein Kind zur Welt gebracht. Einen Sohn, wenn man Loup glauben wollte. Sie war an Kindbettfieber gestorben, so dass ihre Herrin offensichtlich auf keinerlei Widerstand traf, als sie die Kinder vertauschte.
    Die Vermutung, dass in Dourdan nicht alles mit rechten Dingen zugegangen war, hatte Adrien von Anfang an gehegt. Zunächst hatte es ihm geschmeichelt, dass sein Vater seine Begleitung auf einem Ritt nach Dourdan wünschte. Dass jener dort eine Amme aufsuchte und ein mutterloses Kind an sich nahm, riss ihn jedoch aus seiner Ahnungslosigkeit. Hugec von Flavy war nicht der Mann, der sich um Säuglinge kümmerte. Auch erklärte die Amme auf Adriens Frage, dass sie keine Ahnung habe, wessen Kind sie stille. Sein Vater hatte das Gespräch rüde unterbrochen, der Frau ihren Lohn überreicht und den Sohn aus dem Haus gedrängt. Das winzige Mädchen mit den goldenen Augen auf dem Arm, musste Adrien ihm einen feierlichen Eid leisten, niemals über diesen Ritt und die Herkunft des Kindes zu sprechen.
    »Das Mädchen heißt Séverine Gasnay. Niemand wird es je anders nennen. Ich habe geschworen, gut für das Kind zu sorgen, falls es die schwierigen ersten Monate übersteht. Man wird sehen.«
    Mehr war nie gesagt worden.
    Séverine hatte auf Faucheville dann ein warmherziges Willkommen in den Armen der Burgherrin gefunden, die damals noch am Leben war. Als Adriens Mutter starb, litt Séverine genauso wie er unter dem Verlust. Sie hatten sich gegenseitig getröstet.
    Loup hatte sich unter Zwang darauf eingelassen, Séverines Vater zu sein. Sie sollte ehrenhaft bei ihm aufwachsen. Erst als er wieder zur Besinnung kam, durchschaute er, dass Mahaut ihn an einen Ort verbannt hatte, von dem es kein Entkommen für ihn gab. Von da an vernachlässigte er seine Aufgabe sträflich, und für Mahaut schien ihre dritte Tochter nicht länger zu existieren.
    Der vertauschte Sohn war schon Monate nach seiner Geburt gestorben. Mahaut hatte Jahre später Robert geboren, der heute ihr ganzer Stolz war. Nach dem Tod des Pfalzgrafen, der in einer der zahllosen flandrischen Schlachten gefallen war, blieb sie Witwe. Inzwischen setzte sie ihren ganzen Ehrgeiz darein, Robert einmal zum mächtigsten Manne des Königreiches zu machen. Über ihre Nichte und ihre beiden Töchter besaß sie großen Einfluss. Mit einer perfiden Intrige hatte sie zudem ihren Neffen Artois, der ebenfalls Robert hieß, um seine Grafschaft betrogen, so dass sie nun den Namen Mahaut von Artois trug. Inmitten dieses raffiniert geknüpften Netzes von Einfluss und Macht fühlte sie sich sicher und unangreifbar.
    »Den Versager Loup soll Gott strafen, doch der Teufel soll dieses Weib Mahaut holen«, grollte Adrien erbittert und schlug im Vorbeigehen mit der Faust gegen die Wand. »Sie kann sie doch nicht vergessen haben. Sie hat sie geboren. Ich muss diesem Unrecht ein Ende setzen.«
    »Wem zürnst du so sehr, dass du gegen die Mauern schlägst und Flüche murmelst?«
    Séverine trat aus dem Durchgang zum Hauptturm und sah ihn strahlend an.
    Adrien fuhr zusammen. Hatte sie ihn verstanden? Nein. Sie sah völlig unbeschwert aus. Frische Grasflecken auf ihrem Rock deuteten darauf hin, dass sie eben erst von draußen kam.
    »Wo bist du gewesen, Naseweis?«
    »Im Wald«, entgegnete sie fröhlich. »Ich habe die ersten reifen Erdbeeren gefunden. Elvire wird sie dir mit frischer Sahne übergießen. Sie sind köstlich. Freu dich darauf.«
    »Du warst allein unterwegs?«
    Séverine nickte. »Wer sollte mich schon begleiten?«
    »Manon zum Beispiel.«
    »Manon?« Séverine lachte herzlich. »Da geht eher die Sonne im Westen auf. So etwas käme ihr nie in den Sinn. Sie hält sich für eine feine Dame und rümpft die spitze Nase, wenn sie mich sieht. Aber das macht nichts. Ich mag sie auch nicht. Sie ist albern und dumm.«
    Sevérines Lachen und ihre Fröhlichkeit entwaffneten Adrien. Wie konnte er sie tadeln?
    »Komm mit auf die Mauern«, sagte er nach kurzem Überlegen. »Wir haben einiges miteinander zu bereden.«
    Glücklich darüber, dass er seine Zeit mit ihr verbringen wollte, änderte Séverine unverzüglich ihre Pläne. Sie stellte
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