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Turm der Lügen

Turm der Lügen

Titel: Turm der Lügen
Autoren: Marie Cristen
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von sich gegeben.
    Jetzt sprach sie so ungestüm, dass er laut werden musste, um sich bemerkbar zu machen.
    »Wie soll ich deine Fragen beantworten, wenn du mir keine Gelegenheit dazu gibst? Halt ein, Séverine. Und sag mir bitte: Wie siehst du aus? Sind das die Kleider einer jungen Dame? Der graue Kittel eines Stallburschen und die schmutzigen Beinlinge?«
    »Ich sehe so aus, weil ich Étoile beistehen musste. Es war ihre erste Geburt. Aber sie hat es doch fabelhaft gemacht, oder? Ist es nicht ein Wunder? Wir müssen einen Namen für das Fohlen finden. Hilfst du mir dabei? Es soll den Namen eines Sterns bekommen, damit man auch seine Mutter nie vergisst.«
    »Antares«, antwortete Adrien, ohne nachzudenken. »Der hellste Fixstern im Bild des Skorpions.«
    »Antares«, wiederholte Séverine und sprach den Namen aus, als wolle sie ihn kosten. Sie neigte den Kopf zur Seite, betrachtete das rotbraune Hengstfohlen, das von Étoile sorgsam gereinigt wurde, und nickte. »Antares, das gefällt mir. Es beginnt mit A wie Adrien.«
    Ist das wichtig?,
wollte er sie necken, aber dann unterließ er es. Sie war außer sich vor Freude. Er fühlte es und bemerkte erst jetzt, dass er noch immer ihre Handgelenke umspannte. Einen Schritt zurücktretend, gab er sie frei.
    »Was sagt eigentlich dein Vater dazu, dass du den Stallburschen spielst? Es kann unmöglich in seinem Sinn sein?«
    Eine Spur von Unsicherheit flackerte in ihren Augen, ehe sie unbekümmert mit den Schultern zuckte. »Es kümmert ihn weniger denn je, wie ich meine Tage verbringe. Du kennst ihn, er ist ein Eigenbrötler und will nichts von anderen wissen. Lass uns lieber von dir reden. Wir haben von dem prächtigen Fest gehört, das der König für den englischen Besuch und seine Söhne gegeben hat. Erzähl mir davon. Wer hat das große Turnier gewonnen?«
    »Kein Wort erfährst du, Naseweis. Ich spreche nur mit Damen, die saubere Kleider tragen und den Pferdegestank in der Badestube abgewaschen haben. Wir sehen uns beim Essen, dann werde ich deine Fragen beantworten.«
    Séverine kicherte vergnügt und verließ die Pferdeställe, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass Étoile und Antares sie nicht länger brauchten.
    Adrien sah ihr nach.
    »Kann es sein, dass sie mehr in den Ställen ist als im Haus?«, wandte er sich an den Stallmeister.
    »Das hängt ganz davon ab, wie viel Zeit Elvire ihr dafür lässt.«
    »Elvire?«
    »Die Köchin, Seigneur. Unter ihrer Obhut steht sie doch.«
    Adrien antwortete nicht. Hinter seiner Stirn überschlugen sich die Gedanken. Obwohl er wie ein großer Bruder mit ihr aufgewachsen war, wurde ihm erst heute in aller Konsequenz bewusst, dass sie nicht das Leben führte, das ihrer Herkunft angemessen war. Was sollte aus ihr werden? Es war an der Zeit, sie zu verheiraten und ihre Zukunft zu planen. Warum tat das keiner?
    Loup schien sich nicht um sie zu kümmern. Séverine benötigte augenscheinlich einmal mehr seinen Schutz. Dieses Mal jedoch nicht gegen die Bauernkinder aus dem Dorf oder gegen die rauhen Scherze der Burgknechte. Es galt, den Mann zur Verantwortung zu ziehen, der in Faucheville für ihren Vater gehalten wurde.
    »Kümmere dich nicht darum«, tat Séverine seine Fragen ab, während in der Halle zur Feier der Heimkehr des jungen Seigneurs mit Leinen gedeckt wurde. Normalerweise aß man an blanken Holztischen.
    »Wo steckt dein Vater?«
    Adrien warf einen suchenden Blick durch die Halle. Séverines Zopf glänzte feucht, ihr Gesicht leuchtete. Ihre Röcke fielen peinlich sauber, wenn auch zu kurz, nach unten. Die Leinenbluse spannte über Schultern und Busen. Warum hatte man ihr kein passendes Gewand anfertigen lassen? Ihr Anblick fachte seinen schwelenden Zorn auf Loup Gasnay weiter an.
    »Ich bin froh, dass er nicht zur Tafel kommt«, antwortete Séverine knapp. »Wenn er so betrunken ist, wie er es heute Mittag war, kann man nichts mit ihm anfangen. Dann lamentiert er und redet dummes Zeug. Mir ist es lieber, wenn er das in seiner Kammer tut.«
    »Was für dummes Zeug?«, hakte Adrien nach. Sie hörte sich betrübt an. Das war so ungewöhnlich für sie, dass es ihm ans Herz ging. »Komm schon, Séverine, es bleibt unter uns.«
    Sie wich seinem Blick aus und fuhr mit dem rechten Fuß, der in einer einfachen Holzpantine steckte, die Fugen des Bodens nach. »Er mag mich nicht. Er nennt mich Kuckucksei und sagt, ich solle ihm aus den Augen gehen. Er hätte lieber einen Sohn gehabt, den er im Waffenhandwerk unterweisen und
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