Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tunnel - 01 - Das Licht der Finsternis

Tunnel - 01 - Das Licht der Finsternis

Titel: Tunnel - 01 - Das Licht der Finsternis
Autoren: Brian Roderick & Williams Gordon
Vom Netzwerk:
und verzerrt, dass er sie fast selbst nicht erkannte.
    Noch immer ertönten überall um ihn herum wütende Schreie.
    »ÜBERGRUND ABSCHAUM!«
    »KNÜPFT IHN AUF!«
    Eine der vielen Stimmen setzte sich durch und wurde von den anderen aufgegriffen.
    »ABSCHAUM! ABSCHAUM! ABSCHAUM!«
    Sie schrien ihn an – so viele Menschen schrien ihn an! Bei dieser erschreckenden Erkenntnis drehte sich ihm der Magen um. Und dass er sie nicht sehen konnte, machte die Sache nur noch schlimmer. Er war derart verängstigt, dass er schon fürchtete, sich übergeben zu müssen.
    »ABSCHAUM! ABSCHAUM! ABSCHAUM!«
    »Bitte … bitte hört auf … helft mir! Bitte … bitte helft mir … bitte.« Er hyperventilierte und weinte jetzt zugleich – er konnte nichts dagegen machen.
    »ABSCHAUM! ABSCHAUM! ABSCHAUM!«
    Ich werde sterben! Ich werde sterben! Ich werde sterben!
    Dieser eine Gedanke hämmerte durch seinen Kopf, bildete den Gegenpart zum wiederholten Sprechgesang der Menge. Die Leute waren ihm jetzt ganz nahe – so nahe, dass er ihren üblen Körpergeruch wahrnehmen konnte und den Gestank ihres Hasses.
    »ABSCHAUM! ABSCHAUM! ABSCHAUM!«
    Er hatte das Gefühl, als befände er sich am Grund eines Brunnens, während ein Strudel von Geräuschen und Rufen und bösem Gelächter um ihn herumwirbelte.’ Er konnte es nicht länger ertragen. Er musste etwas unternehmen. Er musste fliehen!
    Panisch vor Angst, versuchte er, sich loszureißen – er krümmte und wand sich und stemmte sich gegen diejenigen, die ihn festhielten. Doch die riesigen Hände packten ihn nur noch fester, und die Schreie und das Gelächter des Mobs erreichten bei dieser neuen Szene ihren Höhepunkt. Als er die Sinnlosigkeit seiner Bemühungen begriff, stöhnte er erschöpft: »Nein … nein … nein … nein …«
    Eine zuckersüße, vertraute Stimme kam ihm so nah, dass er spürte, wie die Lippen des Sprechenden sein Ohr streiften. »Komm schon, Chester, reiß dich zusammen! Du willst doch all die braven Damen und Herren hier nicht enttäuschen, oder?« Chester erkannte, dass es der ältere Polizist war. Er musste jeden Augenblick dieses Schauspiels von ganzem Herzen genießen.
    »Lass dich mal anschauen!«, sagte ein anderer. »Sie sollen dich so sehen, wie du bist!«
    Chester fühlte sich benommen … verloren. Ich kann das nicht glauben. Ich kann das einfach nicht glauben.
    Einen Moment schien es, als wären das Hohngelächter, die Sprechchöre und die Pfiffe verstummt – so als befände er sich im Zentrum eines Sturms, als sei die Zeit stehen geblieben. Dann packten grobe Hände seine Knöchel und Beine und hoben ihn auf eine Art Stufe.
    Was jetzt? Er wurde auf eine Bank gehievt und hart gegen die Rückenlehne gedrückt.
    »Schafft ihn fort!«, bellte jemand. Die Menge spendete Beifall, heulte begeistert auf und pfiff.
    Das, worauf man ihn verfrachtet hatte, setzte sich ruckelnd in Bewegung. Er glaubte, das stampfende Geräusch von Hufen zu hören. Eine Kutsche? Ja, eine Kutsche!
    »Schickt mich nicht weg! Das ist nicht richtig!«, beschwor er sie.
    Er begann zu stammeln, brachte nur noch unzusammenhängende Worte heraus.
    »Du wirst genau das bekommen, was du verdienst, mein Junge!«, sagte eine Stimme zu seiner Rechten in geradezu vertraulichem Ton. Es war erneut der ältere Polizist.
    »Und das ist noch viel zu gut für dich«, hörte er eine andere, ihm unbekannte Stimme zu seiner Linken.
    Chester zitterte nun am ganzen Körper.
    Jetzt ist es also so weit! Oh Gott! Oh Gott! Jetzt gleich passiert es!
    Er dachte an sein Zuhause und plötzlich tauchten vor seinem inneren Auge Bilder von den Samstagvormittagen auf, an denen er immer vor dem Fernseher gesessen hatte. Glückliche Momente des Alltags, seine Mutter geschäftig in der Küche. Der Duft von Kaffee und Toast hing in der Luft; sein Vater rief aus dem oberen Geschoss, ob das Frühstück schon fertig sei. Es erschien Chester wie ein anderes Leben, an das er sich nun erinnerte – das Leben eines anderen, aus einer anderen Zeit, einem anderen Jahrhundert.
    Ich werde sie nie mehr wiedersehen. Sie sind weg … alles ist weg … vorbei … für immer!
    Er ließ den Kopf sinken und erschlaffte, während sich in ihm die eisige Erkenntnis breitmachte, dass nun alles vorbei war.
    Ich bin am Ende.
    Eine vernichtende Hoffnungslosigkeit durchströmte ihn bis in die Haarspitzen. Mit einem unwillkürlichen, tierischen Laut, teils Heulen, teils Stöhnen, strömte langsam Luft aus seiner Lunge – ein furchtbarer, von Grauen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher