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Türkisches Gambit

Türkisches Gambit

Titel: Türkisches Gambit
Autoren: B Akunin
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»Gefallen? Verwundet?«
    »Lebendig und gesund«, antwortete Fandorin und musterte sie aufmerksam. »Er ist in seinem Element – verfolgt die Feinde. Der arme Perepjolkin ist wieder verwundet, ein Jatagan hat ihm das halbe Ohr abgeschnitten. Wahrscheinlich bekommt er wieder einen Orden. Und um den Fähnrich Gridnew brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen, er ist auch am Leben.«
    »Ich weiß«, sagte sie. Fandorin verengte ein wenig die Augen.
    Misinow trat zu ihnen.
    »Noch ein Loch im Mantel«, klagte er. »Das ist mir ein Tag. Er hat Sie rausgelassen? Ausgezeichnet! Jetzt können wir Dynamit nehmen.«
    Er näherte sich vorsichtig der Tür zum Tresorraum und fuhr mit der Hand über den Stahl.
    »Zwei Stangen müßten reichen. Oder ist das zuviel? Es wäre gut, den Halunken lebendig zu kriegen.«
    Durch die Tür des Tresorraums klang sorgloses und höchst melodisches Pfeifen.
    »Er pfeift!« rief Misinow entrüstet. »Wie finden Sie das? Na, du hast mir gleich ausgepfiffen. Nowgorodzew! Schicken Sie jemanden zu den Pionieren, Dynamit holen!«
    »D-dynamit wird nicht gebraucht«, sagte Fandorin leise, er horchte auf das Pfeifen.
    »Sie stottern ja wieder«, konstatierte Warja. »Heißt das, alles ist vorbei?«
    Stiefelkrachend kam Sobolew herein, sein weißer Mantel mit den roten Aufschlägen stand offen.
    »Sie sind zurückgewichen!« verkündete er mit heiserer Stimme. »Die Verluste sind entsetzlich hoch, aber macht nichts, bald kommt ein Zug mit Verstärkung. Aber wer pfeift da so schön? Das ist ja ›Lucia di Lammermoor‹ von Donizetti,meine Lieblingsoper!« Der General fiel mit angenehmem etwas heiserem Bariton ein:
    Del ciel clemente un riso,
    la vita a noi sara!
    Er sang gefühlvoll die letzte Strophe. Drinnen ertönte ein Schuß.

EPILOG
    »Moskauer Regierungsnachrichten«
    vom 19. Februar (3. März) 1878
    FRIEDENSVERTRAG UNTERSCHRIEBEN!
    »Heute, am lichten Jahrestag der Allerhöchsten Barmherzigkeit 20 , die der Bauernschaft vor 17 Jahren erwiesen wurde, ist eine neue lichte Seite in die Chronik der Regierungszeit des Befreierzaren geschrieben worden. Russische und türkische Bevollmächtigte unterzeichneten in San Stefano den Friedensvertrag, der den ruhmreichen Krieg für die Befreiung der christlichen Völker von der türkischen Herrschaft abschloß. Entsprechend den Vertragsbedingungen gewinnen Rumänien und Serbien die volle Unabhängigkeit, ein ausgedehntes Fürstentum Bulgarien wird gebildet, und Rußland erhält als Kompensation seiner Kriegskosten 1 Milliarde 410 Millionen Rubel, wobei der größte Teil dieser Summe in Gebietsabtretungen bestehen wird; dazu gehören Bessarabien und die Dobrudsha, ferner Arhagan, Kars, Batum, Bajasit …«
     
    »Also, der Friedensvertrag ist unterschrieben, und er ist sehr günstig. Und Sie haben geunkt, Herr Pessimist«, sagte Warja – wieder nicht das, was sie eigentlich sagen wollte.
    Von Petja hatte sich der Titularrat bereits verabschiedet, und der gestrige Untersuchungshäftling und heutige freie Mann Petja Jablokow stieg in den Waggon, um das Abteil zu besetzen und das Gepäck zu verstauen. Aus Anlaß des siegreichenKriegsendes war er vollständig rehabilitiert worden und hatte sogar eine Medaille für Diensteifer bekommen.
    Sie hätten schon vor zwei Wochen abreisen können, und Petja hatte auch gedrängt, aber Warja hatte es hingezogen, hatte gewartet und selber nicht gewußt, worauf.
    Schade, der Abschied von Sobolew war nicht gut gewesen und hatte ihn verärgert. Aber wenn schon. Einen solchen Helden würde schon bald jemand trösten.
    Doch nun war der Tag gekommen, da sie sich von Erast Fandorinverabschiedenmußte. Seit dem frühen Morgen war Warja nervös. Sie machte dem armen Petja eine hysterische Szene wegen einer verlorenen Brosche, dann brach sie in Tränen aus.
    Fandorin blieb noch eine Weile in San Stefano – mit der Unterzeichnung des Friedensvertrags war die diplomatische Kleinarbeit noch keineswegs beendet. Auf den Bahnhof kam er von irgendeinem Empfang – mit Frack, Zylinder und weißem Seidenschal. Er schenkte Warja einen Strauß Parmaveilchen, seufzte, trat von einem Fuß auf den anderen, glänzte aber heute nicht durch Redekunst.
    »Der F-frieden ist gar zu günstig«, antwortete er. »Europa wird ihn nicht anerkennen. Anwar hat sein G-gambit sehr gut gespielt, und ich habe verloren. Ich habe einen Orden bekommen, hätte aber vor Gericht gehört.«
    »Sie sind ungerecht gegen sich selbst! Schrecklich ungerecht!« sagte Warja
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