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TTB 100: Der Traum der Maschine

TTB 100: Der Traum der Maschine

Titel: TTB 100: Der Traum der Maschine
Autoren: Hans Kneifel
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des Heiligen Hains.
    Der Baumeister hatte die enggerollte Pergamentrolle im Gürtel stecken, denn er wollte sie Beeha-ti zeigen. Sie sollte als erste die schriftlich niedergelegte These mit der Beweisführung hören. Anhetes dachte nach – über die vergangenen vier Tage. Er hatte mehr ab genug Ruhm geerntet, er hatte die neue These ausgearbeitet und sich in eine Prinzessin verliebt. Viel war geschehen in jenen hundert Stunden. Ein neues Weltbild war geboren worden, nicht nur für Anhetes.
    Er wußte, daß er nicht allein war.
    Zu allen Zeiten und in allen Kulturkreisen bemühten sich Männer, den Dingen auf den Grund zu gehen, Entdeckungen zu machen und sich um der Erkenntnis willen in Abenteuer zu stürzen. Die Drehung der Himmelskörper umeinander war eine solche Erkenntnis. Anhetes mußte lächeln, als er daran dachte, mit welch kindlicher Begeisterung Beeha-ti zugehört hatte, als er ihr den Weg seiner Gedanken geschildert hatte.
    Er sah ihr Gesicht vor sich; das einzige Ding, das in einer Welt erstarrter Konvention noch begehrenswert war. Auf eine nicht bekannte Art würde sein Leben jetzt an Inhalt gewinnen. Anhetes wußte es mit untrüglicher Sicherheit.
    Rundherum waren Dunkelheit und schweigende Wüste.
    Kein menschliches Wesen hielt sich jetzt mehr neben den Seelentürmen auf. Der Park würde verwaisen, bis der achte Turm gebaut wurde. Von ihm, Anhetes, Baumeister zweier Könige.
    In der Ferne – ein Geräusch!
    Mahlende Räder auf Steinplatten und Sand. Beeha-ti kam mit dem Wagen, den sie wegschicken würde. Dann würden sie und Anhetes, jeder in des anderen Armen, hier unten auf dem Moos zwischen den Baumwurzeln ruhen und von Liebe sprechen. Ein anderes Geräusch ... das geschulte Ohr des Baumeisters erkannte es.
    Es war Sand, der durch hohe Gewichte gepreßt wurde und langsam nachgab. Irgendeine Tafel oder Stelle an der Doppelmauer; er würde sie erneuern lassen. Es kam häufig vor, daß sich unterirdische Höhlen senkten und Teile von schweren Bauwerken einstürzen ließen. Anhetes stand auf und schüttelte den Sand aus den Kleidern. Er schob das Pergament in seinem Gürtel zurecht, denn er wollte Beeha-ti am Anfang der Doppelmauer erwarten. Anhetes blickte auf, als er das dritte Geräusch hörte.
    Es war eindeutig das Splittern und Reißen zerbrechenden Holzes. Stein knirschte auf Stein. Die Augen des Baumeisters weiteten sich. Langsam und scheinbar im Fall verharrend, senkte sich die rechte Säule des Kapitells. Das übertünchte Holz riß. Der Kopf der Säule in Gestalt der Schilfblüten senkte sich und kam näher ...
    Anhetes setzte zu einem Sprung an.
    Er vollendete ihn nicht. Als er springen wollte, griff eine eiskalte Hand nach seinem Herzen und hielt dessen Schlag an. Das letzte, das Anhetes sah, war die Gestalt der Prinzessin. Sie tauchte zwischen den Banitmauern auf, fern von ihm, unerreichbar klein, zart und liebenswert.
    Dann verschwammen seine Gedanken. Die Herzschwäche übermannte und betäubte ihn. Jetzt war er mit den Geistern der anderen Männer vereint, von denen er in manchen Nächten geträumt hatte. Das Oberteil der Säule brach in einem Regen stäubenden Gesteins nieder, bohrte sich mit der Kante in den Sand und kippte zurück. Dann fiel das Fragment mit einem dumpfen Schlag auf Anhetes und blieb liegen. Nur ein Arm ragte unter dem Stein hervor.
    Die weit auseinandergespreizten Finger hatten sich flach auf den Sand gelegt. Am Mittelfinger glänzte der Coserring von Anhetes' Vater.
    In weniger Zeit, als man braucht, um einen Satz auszusprechen, war Beeha-ti zwischen den langen Mauern herangehastet. Sie stand vor der Stelle des Unglücks. Sie schrie nicht auf, aber sie weinte tonlos und sehr, sehr lange. Dann zog sie den schweren Ring von der Hand des Toten und steckte ihn an ihren Finger. Als ihre Augen wieder ohne die Nebel sehen konnten, war die Hand verschwunden. Die Prinzessin lächelte etwas – Anhetes war jetzt bei seinem toten König, bei ihrem Vater. In vielen Jahren würden sie sich treffen.
    Sie fuhr allein in Anhetes' Wagen zurück nach Zokesh, um Shechta zu sagen, was geschehen war, und daß sein Herr den Weg in das Zweite Leben angetreten habe. Die Säule hatte nicht nur Anhetes erschlagen, sondern auch die neue These verschüttet.
     
    *
     
    Nachts. Über dem Hohlweg, der zum Strand hinunterführt. Im offenen Meer – ein Schiff. Ein Boot, halb auf dem Strand. Daneben zwei Männer und ein Pferd.
    Nigoel zügelte das keuchende Pferd. Wieder war es Nacht geworden,
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