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TTB 100: Der Traum der Maschine

TTB 100: Der Traum der Maschine

Titel: TTB 100: Der Traum der Maschine
Autoren: Hans Kneifel
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gesagt, daß du überzeugte Rennsportlerin bist, hätte ich ihn nicht gebeten, dich einzuladen«, sagte er.
    »Danke!« erwiderte sie lachend.
    »Bitteschön!« gab Nicholas zurück. William war der amerikanische Kunststudent, der Claudine zur Geburtstagsparty von Nicholas mitgebracht hatte. Nicholas zahlte seinen Espresso und stand auf. Er packte Claudine um die Taille und hob sie vom Barhocker. Der Alte winkte hinter der Theke hervor, die Zigarette zwischen den Lippen.
    »Wir sehen uns morgen früh, Michel«, sagte Nicholas, dann ging er Hand in Hand mit Claudine in die stille Gasse hinaus. Sie spazierten langsam die Rue Bertollet entlang, sahen in die Auslagen der Geschäfte und kamen auf den Boulevard du Port Royal. Hier begann der dichte Abendverkehr der Seinestadt; Autos in drei Reihen, ein Mahlstrom aus Blech und Reifen. Die Fußgänger hatten es ebensowenig eilig wie Claudine und Nicholas. Es dauerte zwanzig Minuten, bis die beiden auf den Boulevard Saint Michel gelangten. Eine volle Stunde lang nahm sie das abendliche Treiben gefangen.
    Halb Paris schien sich an jedem Abend, an dem es nicht regnete, hier zu versammeln. Es war ziemlich schwül, obwohl es kurz vorher geregnet hatte. Die Wärme des Tages war nicht gewichen. Niemand schien ein Ziel zu haben. Die beiden bogen nach rechts ab und schlenderten die Quais entlang bis hinunter zur Pont Sully.
    In der Rue Cuvier kannte Nicholas eine kleine Kellerbar, die so tief unter dicken Mauern lag, daß es dort selbst bei größter Hitze kühl blieb.
    »Es ist nicht nur so«, erklärte er, »daß mir die Füße wehtun, sondern man findet dort manchmal die verrücktesten Leute. Außerdem haben sie eine Studentenband, die relativ erstklassigen Dixieland spielt.«
    »Ich lasse mich überraschen«, antwortete Claudine.
    Hundert Meter weiter vorn bog Nicholas in einen Tordurchgang ein, der schwach von einer schmutzigen Birne beleuchtet wurde. Fässer und alte Kisten standen herum und ein verrostetes Bettgestell. Eine Stahltür stand offen, darauf war in gotischer Schrift Caverne – hier entlang gemalt. »Hier entlang« bedeutete eine schier endlose Wendeltreppe, die einigermaßen gut instand war.
    Endlich, nachdem man sich unter einigen Rohren und Durchgängen hatte bücken müssen, kam man in die Garderobe des Lokals. Hier hatte ein junger Maler mit nicht geringem Erfolg versucht, gotische Fresken an die Wände zu malen. Grundfarbe war Grau, darauf rankten sich Bögen und Kreuzrosetten, reich verziert mit Gestalten, die aus bekannten Bildern übernommen worden waren. Nur waren die weiblichen Figuren meist sehr wenig bekleidet. Nicholas grinste; die Arbeit war nicht ohne Einfälle und Talent.
    »Ist viel los heute abend?« fragte er das Mädchen, das hinter dem Brett saß, rauchte und in einem Taschenbuch las; Ödipus Rex von Sophokles.
    »Hmmm – nein!« sagte das Mädchen uninteressiert.
    Nicholas faßte Claudine bei der Hand und ging mit ihr um zwei Ecken herum. Auch diese Wände zeigten ehrwürdige Bilder, auf modern verändert, aber mit einem gewissen Können gemalt. Die Farben waren so gut, daß sie nicht abfärbten. Gedämpftes Licht herrschte in dem Lokal, und abgehackte Rhythmen schlugen den Besuchern entgegen. Die Bar war etwa halbvoll; rund zwanzig meist jüngere Gäste saßen um die Theke und an kleinen Tischen. Auf jedem Tisch stand in einer Glashülle eine brennende Kerze, über der Bar hingen dunkelrot glühende Beleuchtungskörper aus Glas und Blech. Vier bärtige Studenten saßen auf einem kleinen Podium und spielten den Yellow Dog Blues.
    »Das machen die Leute nicht übel«, sagte Claudine, nachdem sie einige Takte lang am Eingang stehengeblieben war und zugehört hatte.
    »Nicht gerade die Philharmoniker, aber recht brauchbar«, sagte Nicholas. »Setzen wir uns an einen Tisch oder an die Bar?«
    »An die Bar«, antwortete Claudine mit ihrem reizendsten Lächeln, »da sehe ich dich nur von der Seite.«
    »Ich stelle fest, daß du heute deinen charmanten Tag hast«, sagte Nicholas. Sie gingen die wenigen Schritte bis zu den drei oder vier freien Barhockern. Nicholas hob Claudine auf einen der Hocker.
    Hinter der Theke bediente ein ausgesprochen hübsches Mädchen; vermutlich eine Studentin, die sich etwas Taschengeld verdiente. Sie kam und fragte, was sie bringen dürfe. Nicholas überschlug schnell sein Bargeld und bestellte zwei Cola mit Rum und Eis. Die Kapelle beendete den Blues mit einem gekonnten Madrigalschluß. Einige Gäste klatschten.
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