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TTB 100: Der Traum der Maschine

TTB 100: Der Traum der Maschine

Titel: TTB 100: Der Traum der Maschine
Autoren: Hans Kneifel
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denen mir jemand Modell sitzt, versuche ich, innere Eindrücke zu verarbeiten. Und ich muß gestehen, daß ich schon versucht habe, eindringliche nächtliche Träume grafisch zu verewigen. Das gab dann Ergebnisse, die von Claudine als Visionen bezeichnet werden.«
    »Ich weiß nicht, ob es in Ihrer Absicht lag, aber Sie tun nichts anderes, als daß Sie meine Theorie bestätigen.«
    »Aber ich kann Ihre Ansicht nicht teilen. Jeder Mensch, aufgespalten in unendlich viele Personen auf anderen Welten, gleichzeitig in verschiedenen Kulturen ... unmöglich und grotesk.«
    »Ich zwinge Sie ja nicht dazu, aber denken Sie darüber nach!«
    Nicholas schwieg, dann meinte er zweifelnd:
    »Das sähe dann so aus, daß Menschen von meinem Aussehen in verschiedenen Kulturen existieren, ähnliche oder dieselben Gedanken haben und sich identisch benehmen.«
    »Das wäre eine Erweiterung des Grundgedankens. Ich persönlich halte es nicht für Theorie, sondern glaube daran.«
    »Angenommen«, sagte Nicholas und betrachtete sein Glas, »angenommen, ich falle auf der Straße hin und breche mir den Arm. Haben nach Ihrer Ansicht meine Brüder in den anderen Welten ebenfalls gebrochene Glieder?«
    »Natürlich«, sagte Grenelle überzeugt. »Ihnen stößt etwas zu, das dieselben Folgen hat. Nur in einer anderen Umgebung.«
    »Das ist mir alles zu viel, zu verwoben und zu verknüpft. Es erinnert stark an Sartre und seine Philosophie, die auch in unseren Kellern geboren und gezüchtet wurde wie Champignons«, sagte Nicholas.
    »Nichts ist neu«, antwortete Grenelle ernst, »und alles ist bereits durchdacht und angewandt worden. Denken Sie an den Glauben der Inder, dort spielen Wiedergeburt und veränderte Erscheinungsformen eine grundlegende Rolle. Wir finden ähnliche Gedanken im Sagengut des europäischen Raums und in vielen anderen Glaubenslehren. Es ist nicht so, daß ich auf diese Entdeckung ein Monopol hätte«, sagte Grenelle.
    »Trotzdem«, warf Nicholas ein, »sehen Sie: Ich bin also hier und gleichzeitig in anderen Zeiten, anderen Welten, anderen Kulturen. Ich und meine gleichgeschalteten Brüder verkörpern stets ein und dieselbe Figur mit gleichen Gesten, gleichen Regungen, Gedanken und Reaktionen.
    Wir sind demnach zur gleichen Zeit von gleichen Eltern geboren worden, erleiden Freuden und Schicksalsschläge zur gleichen Zeit und sterben in der nämlichen Minute. Wir haben auch die Namen gemeinsam – sie dürften zumindest ähnlich klingen –, die gleichen Frauen oder Freundinnen und so weiter bis in die fernsten Bereiche des Lebens.
    Ich muß sagen, das ist nicht nur reichlich unwahrscheinlich, sondern geradezu absurd.«
    »Meinen Sie?« fragte Grenelle.
    »Nicht, daß mich die Theorie als solche stören würde. Das ist es nicht, aber die Folgerungen gehen zu weit. Dazu kommt, daß die Träume Botschaften aus einer anderen Welt sein sollen, sozusagen durch die Augen des Parallelmenschen gesehen und durch seine Gedanken gefiltert. Ich sage Ihnen, Grenelle, daß ich leider nicht ganz mit Ihnen mitgehen kann.«
    »Sie haben genau geschildert, was ich denke – und aufschreibe. Niemand verlangt, daß Sie es glauben. Ich persönlich glaube daran.«
    »Das ist Ihre Sache. Sind Sie sicher?«
    »Natürlich. Ich habe zu Hause einen Stapel voller Eindrücke, die niedergeschrieben ein faszinierendes, wenn auch unglaubwürdiges Buch ergeben würden. Denken Sie an Freud, an Marquis de Sade, an Adler oder Dante! Alle diese Männer, größer und mit schärferem Verstand ausgerüstet als wir, wiesen darauf hin, daß ihre Eindrücke aus einer anderen Welt zu kommen schienen. Denken Sie an Ignatius von Loyola, die Mystiker, an die Musiker und die Maler, denken Sie an Hieronymus Bosch.«
    »Sicher«, sagte Nicholas bedächtig, »Botschaften aus einer anderen Welt, aber nicht aus einer Parallelwelt, die nichts anderes ist als die Kopie der Erdkugel, in Winzigkeiten verschieden!«
    Claudine verfolgte die erbitterte Diskussion schweigend und aufmerksam. Sie spielte mit ihrem Glas, dann zündete sie sich eine Zigarette an.
    »Es ist weder zu beweisen, noch ist der Gegenbeweis anzutreten. Es ist, wie bei der Religion, reine Glaubenssache. Und Glauben kann man nicht erzwingen, man kann nur versuchen, Ausblicke aufzuzeigen, die andere Menschen dem Glauben näherbringen.«
    »Sie brachten mich fast in ein Dilemma«, sagte Nicholas ernst und warf den Strohhalm aus seinem Glas leicht in die Luft, so daß er sich überschlug und fing ihn wieder auf. »Ich
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