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Trügerisches Bild: Ein Auftrag für Spenser

Trügerisches Bild: Ein Auftrag für Spenser

Titel: Trügerisches Bild: Ein Auftrag für Spenser
Autoren: Robert B. Parker
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Make-up. Sie legte den Umhang auf den Boden und saß dann kerzengerade auf der vorderen Stuhlkante, mit geschlossenen Knien. Sie glättete ihren knöchellangen Rock. Sie faltete einen Moment lang die Hände im Schoß, dann löste sie sie wieder voneinander und legte sie auf die Armlehnen. Dann faltete sie sie wieder in ihrem Schoß und neigte sich leicht vor. „Manchmal denke ich, Einsamkeit ist die passende Beschreibung für den Zustand des Menschen.“
    „Eigentlich bin ich gar nicht einsam. Das war nur, ähm, leichtfertig dahingesagt.“
    Sie nickte. Wir saßen da. Jetzt, wo sie sich entschieden hatte, was sie mit ihren Händen machen wollte, war sie ganz ruhig.
    Ich lächelte.
    Sie sah auf ihre Hände hinab. „Ich bin Rosalind Wellington. Ashton Prince … war mein Mann.“
    „Mein Beileid.“
    Sie nickte und sah noch ein bisschen auf ihre Hände hinab. „Man hat mir gesagt, dass Sie bei ihm gewesen sind, als er starb.“
    „Ja.“
    Sie schwieg.
    Ich wartete. Ich konnte den Regen hinter mir an die Scheibe prasseln hören.
    „Ich muss alles wissen“, sagte sie.
    „Worüber?“
    „Ich bin Künstlerin, Dichterin. Ich denke in Bildern. Existiere vielleicht sogar in ihnen. Ich muss jedes Bild seines Todes sehen, bevor ich ihn verinnerlichen kann.“
    „Ah ja.“
    „Ich muss mir alles vorstellen können.“
    „Was wissen Sie denn?“
    „Dass er tot ist. Darf ich das aussprechen? Ermordet! Mit einer Bombe.“
    „Was möchten Sie sonst noch wissen.“
    „Alles. Ich muss wissen, wie der Himmel ausgesehen hat. Ich brauche den Geruch des Seitenstreifens, den Gesang der Bombe. Hat sie die Vögel aufgeschreckt und davonfliegen lassen? Haben die Insekten im Gras reagiert? Gab es eine Reaktion des Universums oder ist das Schiff friedfertig weitergesegelt? Ich muss es wissen. Ich muss sehen und hören und riechen, um fühlen zu können. Ich muss fühlen können, um etwas daraus zu machen. Etwas zu schaffen, das sich darüber erhebt.“
    Die ganze Zeit über hatte sie nicht von ihren Händen aufgesehen.
    „Er hat gar nicht gemerkt, was ihn erwischt hat“, sagte ich. „Er hat nicht gelitten.“
    „Danke. Aber geben Sie mir Einzelheiten. Ich brauche Bilder. Die Polizei hat versucht, mir das zu ersparen. Was, glaube ich, freundlich gemeint war, auf eine bodenständige Art. Nur hat mich dort niemand verstanden. War er schlimm zugerichtet?“
    Ich holte tief Luft. „Er wurde in kleine Stücke zerrissen, die als nichts anderes mehr zu erkennen waren als Blutspritzer.“
    Sie zog die Schultern hoch, hielt sich die Hände vors Gesicht und atmete tief.
    Schließlich sagte sie, gedämpft durch die Hände: „Bitte fahren Sie fort.“
    Ich erzählte ihr alles, was ich wusste. Es gefiel mir nicht. Ich wusste nicht, ob sie tapfer war oder verrückt. Aber dieses Urteil brauchte ich auch nicht zu fällen. Jeder trauert auf seine eigene Art, und sie hatte ein Recht darauf, das zu bekommen, von dem sie dachte, dass sie es brauchte. Sie hörte mit dem Gesicht in den Händen zu, bis ich fertig war.
    „Mehr gibt es nicht“, sagte ich.
    Sie hob das Gesicht, die Augen trocken, und nickte. „Wenn ich ein großes Gedicht aus Ashtons Tod machen kann, dann kann er vielleicht, auf seine Weise, in dem Gedicht weiterleben, und ich vielleicht auch.“
    „Ich hoffe es.“
    Sie nickte wie geistesabwesend. Dann stand sie ohne ein weiteres Wort auf und ging.

10
    „Es war sehr merkwürdig“, sagte ich zu Susan.
    Wir saßen auf ihrer Couch, mit den Füßen auf dem Tisch. Sie trank ein Glas Roséchampagner, den ich mitgebracht hatte. Ich trank ein Glas Scotch mit Soda, den sie für mich bereithielt. Wir hatten uns für das Abendessen zu einem Lammeintopf zusammengetan, der in einem hübschen Topf auf Susans Herd vor sich hin köchelte. Pearl war im Schlafzimmer und döste auf Susans Bett, was es mir leichter mach-te, mit einem Arm um Susan dazusitzen. Ich war mir ziemlich sicher, dass Pearl erscheinen würde, sobald das Abendessen serviert wurde.
    „Sehr merkwürdig“, sagte Susan.
    Das Zusammentun für den Lammeintopf hatte so ausgesehen, dass Susan die Töpfe und das Schneidbrett und das Werkzeug herausholte und ich das Kochen übernahm, während sie an ihrem Küchentresen saß und bewundernd zusah.
    „Sie hat sogar eine Anspielung auf ‚Musée des Beaux Arts‘ gemacht“, sagte ich.
    „Auf das Gedicht von Auden? Wie das?“
    „Sie wollte im Endeffekt wissen, ob das Universum den Mord zur Kenntnis nahm oder ob das Boot
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