Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Triestiner Morgen

Triestiner Morgen

Titel: Triestiner Morgen
Autoren: Edith Kneifl
Vom Netzwerk:
alten Namen, eine Villa am Meer ...«
    »Hör auf«, stöhnt Livio jetzt deutlich hörbar.
    »Ich bin sicher, es war nicht dein Balg. Mit deinen verkommenen Genen hättest du bestimmt kein Kind mehr zeugen können. Degeneriert seit Generationen, aber das war meiner lieben Gina egal. Ihr ist es nur ums Geld gegangen, doch das hast du anscheinend nie kapiert.«
    »Wir haben längst nichts mehr miteinander gehabt.« Die Stimme des Kranken wird zusehends kräftiger, er schaut Enrico fest in die Augen und fragt: »Warum bist du zurückgekommen?«
    »Ich will dich sterben sehen«, sagt er lachend. Sein Lachen klingt hart und gekünstelt.
    »Da brauchst du nicht lange zu warten.«
    »Ich habe keine Zeit zu warten.«
    »Laß mich in Frieden ...«
    »Warum hast du sie mit ihrem Strumpf erdrosselt? Hast du dir deine zarten Händchen nicht schmutzig machen wollen?«
    »Du bist krank, Enrico.« Seine Augen und seine Stimme sind gequält, bittend, hilflos und wütend zugleich.
    »Ja, krank vor Haß, das hat der Knast-Psychiater auch immer behauptet.«
    Livio windet sich wie ein Aal und stöhnt: »Gib mir bitte die Pillen, ich halt’s nicht aus.«
    Enrico nimmt die Tablettenschachtel vom Nachtkästchen, öffnet sie und vertieft sich in den Beipackzettel.
    »Morphium! Nein, mein Lieber, ich will ein Geständnis, und zwar schriftlich und bei vollem Bewußtsein.«
    Er zieht Notizbuch und Bleistift aus der Manteltasche, reicht beides seinem Freund und herrscht ihn an: »Schreib, ich sage dir den Text an.« Ohne dem immer lauter werdenden Stöhnen, das aus dem schmerzverzerrten Mund dringt, Beachtung zu schenken, legt er Livio das schwarze Notizbuch auf die Brust und versucht, ihm den Bleistift in die Hand zu drücken. Aber der Kranke ist zu kraftlos, um den Bleistift zu halten.
    »Wenn du es nicht warst, dann kann es nur Bruno ...« Die Stimme des todkranken Mannes erstickt plötzlich.
    »Welcher Bruno?«
    »Der Besitzer vom ›Orient‹ ... du weißt schon, das Stundenhotel, er war ein Sadist und ..., und er hat uns immer mit Hardcore-Pornos ver ... versorgt ...«, stammelt Livio.
    Enrico beugt sich über ihn. »Ich verstehe kein Wort, und ich glaube dir kein Wort. Du bist und bleibst ein gottverdammter Lügner, selbst auf dem Sterbebett schreckst du nicht vorm Lügen zurück.«
    »Nein, glaub mir, er hat die Frauen verprügelt, weil er keinen mehr hochgekriegt hat ...«
    »Red lauter«, schreit Enrico. Livios Röcheln geht ihm auf die Nerven.
    »Man hat immer damit rechnen müssen, daß er vor der Tür steht und durchs Schlüsselloch glotzt, außerdem waren die Türen der meisten Zimmer nicht verschließbar ...«
    »Das klingt aber eher nach Voyeur als nach Sadist«, wirft Enrico nüchtern ein.
    »Er hat sich nicht nur an den Liebesspielen seiner Gäste aufgegeilt, er hat sie auch gefilmt. Ich habe ihm zwei solche Super 8-Filme von Gina abgekauft, einmal ist sie mit Giorgio drauf und einmal mit mir selbst. Du kannst sie dir ansehen, sie liegen unten in der letzten Schublade.« Der Kranke schließt die Augen. Das Sprechen hat ihn sichtlich erschöpft.
    Enrico packt ihn an der Schulter und brüllt ihn an: »Und weiter?«
    »Von Mißhandlung ist es kein weiter Weg mehr zum Mord«, stöhnt Livio. »Bruno hat sich immer für einen großen Verführer gehalten, aber er war impotent ...« Sein Atem wird schwerer. Aus seinem Mund sprudeln nur noch unverständliche Wortfetzen.
    Enrico schickt ein Stoßgebet zum Himmel: »Alle Zigaretten, die ich je geraucht habe, mögen mir beistehen«, dann zieht er dem Freund das Kissen unter dem Kopf weg und drückt es auf sein Gesicht. Das Röcheln wird leiser und hört schließlich ganz auf.
    Er legt das Kissen wieder unter den Kopf seines Freundes. Livio schaut ihm mit den Augen eines Toten dabei zu.
    »... Und das Totsein ist mühsam
    und voller Nachholn, daß man allmählich ein wenig
    Ewigkeit spürt. – Aber Lebendige machen
    alle den Fehler, daß sie zu stark unterscheiden
.
    Engel (sagt man) wüßten oft nicht, ob sie unter
    Lebenden gehn oder Toten. Die ewige Strömung
    reißt durch beide Bereiche alle Alter
    immer mit sich und übertönt sie in beiden.«
    »Vielleicht hast du es wirklich nicht getan«, flüstert Enrico, als hätte er Angst, den Toten zu wecken. Auf Zehenspitzen schleicht er dann zum Schrank, zieht die unterste Lade raus und packt die Filmrollen in seinen Koffer.
    Bevor er die Villa auf demselben Weg verläßt, auf dem er sie betreten hat, wischt er noch mit seinem Taschentuch
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher