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Tricontium (German Edition)

Tricontium (German Edition)

Titel: Tricontium (German Edition)
Autoren: Maike Claußnitzer
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sie dort, wo Himmel und Erde zusammentrafen, in einem Kiefernwald verschwand, hinter dem Tricontium liegen musste.
     »Das vielleicht auch«, räumte Oshelm ein, um dann mit ausgestrecktem Arm auf einen unförmigen graubraunen Stein inmitten von Heidekraut zu deuten. »Aber seht Ihr den Findling dort? Das war vor langer Zeit ein Opferplatz der alten Götter, und vor nicht allzu langer Zeit ist es dann wieder einer geworden. Was hier vorgeht, seit in Corvisium kein Bischof mehr ist, könnt Ihr Euch denken.«
    Wider besseres Wissen fühlte Herrad Beklommenheit in sich aufsteigen, als ihr Pferd just zu diesem Zeitpunkt unruhig zu werden begann. »Ich bin Richterin, keine Bischöfin«, entgegnete sie dennoch nur, indem sie sich vorbeugte, um den Hals des Tieres zu tätscheln. »Wenn es heidnische Opferfeiern hier gibt, habe ich nichts damit zu schaffen, solange die Leute das Gesetz des Königs nicht brechen, und ihnen kann umgekehrt nicht daran gelegen sein, sich schlecht mit mir zu stellen.«
    »Gegen Euch wird wohl auch noch keiner hier etwas haben«, sagte Oshelm und zog sich den Umhang enger um die knochigen Schultern, »aber wisst Ihr, ob sich Herr Honorius sonderlich beliebt gemacht hat? Es ist ja nicht viel über seine Zeit hier nach Aquae gedrungen.«
    Zu ihrer Linken huschte ein kleines Tier davon.
    »Wer ihm oder seinen Leuten jetzt noch etwas tun wollte, müsste sehr rachsüchtig oder töricht sein«, erwiderte die Richterin, »und doppelt töricht, wenn er dazu gerade diesen Platz wählen wollte. Nein – es wird eher Unhöflichkeit als Sorge sein, die Honorius und sein Gefolge von hier fernhält.«
    Oshelm widersprach nicht länger.
    Vielleicht erinnerte auch er sich noch gut genug an Honorius, um zu wissen, dass es beinahe ein Wunder gewesen wäre, wenn sich der abberufene Richter der Tricontinischen Mark um ein angemessenes Auftreten seiner Nachfolgerin gegenüber bemüht hätte. Nun, da sein Stern wieder im Steigen begriffen war, würde er kaum die nötige Großmut oder Vorsicht aufbringen, einer, die es schlechter getroffen hatte als er, noch freundlich zu begegnen. Das Richteramt hier oben zu versehen war im Grunde nicht mehr als eine Verbannung, vielleicht nicht ganz ans Ende der Welt, aber doch an einen Ort, der von allen Städten und bedeutenden Burgen des Reichs hinlänglich weit entfernt lag, um jedem, der sich dort aufhielt, jeglichen Einfluss zu nehmen.
    Zwar bildete auch das Niedergericht von Aquae nicht gerade einen Gipfel irdischer Macht, doch Aquae war immerhin Aquae Calicis mit seiner Burg, die aus den Ruinen des alten Amphitheaters emporgewachsen war, seinen zahllosen römischen Mauern, seiner Bischofskirche mit den vielfarbigen Glasfenstern und der Heilquelle, die der Stadt ihren Namen gegeben hatte und beim Westtor in einer Höhle in ihr kelchförmiges Becken stürzte, kein zweites Rom, aber doch eine Stadt, in der es sich gut leben ließ. Tricontium hingegen war selbst in seinen besten Tagen nicht viel mehr als eine Ansammlung reetgedeckter Hütten gewesen – und das hatte nicht etwa ein böswilliger Spötter gesagt, sondern Oshelm, der dort vor dem Krieg, zu Otachars Zeit, für einige Jahre durchaus zufrieden gelebt hatte.
    Seit der Schlacht von Bocernae aber gab es keinen Markgrafen mehr in Tricontium. Otachar, der das Amt bis dahin bekleidet hatte, war ein Mann mit vielfältigen Verbindungen dies- und jenseits der Grenze gewesen und hatte sich in seiner kleinen Markgrafschaft einiger Beliebtheit erfreut. Dann aber hatte er den Fehler begangen, den jungen Faroald bei dem Versuch zu unterstützen, König Gundoald den Thron oder doch wenigstens Austrasien zu entreißen, und war bei Bocernae gefallen, was im Vergleich zu der stellvertretenden Rache, die seine Anhänger getroffen hatte, noch ein gnädiges Schicksal gewesen war.
    Ein Nachfolger für den abtrünnigen Markgrafen war nie ernannt worden, und wenn man auch öffentlich nur davon sprach, dass die Verwaltung von Tricontium vorübergehend dem Vogt von Aquae übertragen sei, wusste doch jeder, dass dieser Zustand von Dauer sein würde. Der König würde keinen neuen Markgrafen einsetzen, keine Krieger senden; wenn die heidnischen Stämme einfielen, die jenseits der Grenze in beständiger Unruhe waren, oder gar die Barsakhanen zurückkehrten, die vor vierzig Jahren den gesamten Nordosten überrannt hatten, um erst vor den Mauern von Aquae zu scheitern, würde Tricontium schutzlos daliegen und selbst im günstigsten Falle bald
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