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Tricontium (German Edition)

Tricontium (German Edition)

Titel: Tricontium (German Edition)
Autoren: Maike Claußnitzer
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sündige Römerin, die dort umging, erspäht hatte, und seine Mutter wusste unzählige schaurige Geschichten über die Nachtdämonen zu erzählen, die bei Neumond aus den Gräbern der alten Barsakhanenfürsten hervorkamen und über die Steppe bis weit in den Westen flogen. Auch im Kranichwald sollte es nicht immer ganz geheuer sein, und vielleicht stand es um den Brandhorst nicht besser. Wenn Asgrims Vorfahren ihm geglichen hatten, konnte es an Geistern, die keine Ruhe fanden, rings um die Burg nicht mangeln.
    Wulfila nickte. »Gespenster sollten nicht am helllichten Tag umgehen, doch es mag hier anders sein, weil wir nahe am Kranichwald sind. Nahe bei Bocernae.«
    »Ein Gefallener aus der Schlacht?« Es war nicht warm in dem zugigen Gewölbe, doch Ardeija hatte zuvor nicht so deutlich gespürt, wie ihm die lähmende Kälte in die Knochen kroch. »Du hast ihn erkannt?«
    »So gut, dass ich geglaubt hätte, er sei es selbst, und lebendig, wenn ich ihn damals nicht hätte sterben sehen. Und was hätte er auch lebend im Garten einer Bauernkate zu suchen gehabt?« Wulfila hatte sich vorgebeugt, und als er nun fortfuhr, sprach er mit gesenkter Stimme, als könne ein unbedachtes Wort den Geist herbeirufen: »Du wirst mir nicht glauben, doch es war dein Herr, den ich dort gesehen habe, Fürst Gudhelm selbst, bleicher als im Leben und grauer geworden, so dass man fast hätte glauben können, er sei es wirklich, nur um die Jahre, die seit Bocernae vergangen sind, gealtert.«
    »Aber er ist tot.« Die Bemerkung war überflüssig. Sie wussten beide, dass Ardeijas früherer Dienstherr so tot war, wie man nur sein konnte, hatten sie ihn doch fallen sehen. Wer den Speer geworfen hatte, der in den schmalen Spalt gedrungen war, der sich zwischen Halsberge und Helm gar nicht hätte auftun sollen, war nie bekannt geworden, und falls der Mann, dessen Hand Gudhelm von Sala den Tod gebracht hatte, nicht ohnehin in der Schlacht umgekommen war, hatte er gut daran getan, zu schweigen. »Und es war wahrhaftig Gudhelm, den du gesehen hast?«
    Derselbe Gudhelm, den jener Speer aus dem Sattel und in einen Altarm des Simertius geworfen hatte, dessen Wasser dunkel von aufgewirbeltem Schlick und von Blut gewesen war … Auf dieses Bild, das sich fest in seinen Kopf gegraben hatte, hätte Ardeija gern verzichtet, und es war nicht gut, es gerade jetzt wieder wachzurufen. Hier unten gab es keine Ablenkung, auch nicht den schwachen Trost, den ein Becher Wein bedeuten konnte, nicht einmal die trügerische Sicherheit eines zugezogenen Bettvorhangs, der einen vor den Schrecken der Vergangenheit verbarg.
    Wenn Wulfila die Erinnerungen an Bocernae ebenfalls belasteten, ließ er es sich nicht anmerken. »Es war Gudhelm, so gewiss, wie er tot ist, mitsamt der alten Narbe über dem Auge und dem Edelsteinkreuz, das er zu tragen pflegte.«
    »Und einem Mantel wie ein König«, setzte Wulfin hinzu, dem es gelungen war, einen nur halb widerstrebenden Gjuki auf seinen Schoß zu ziehen.
    »Das auch, ja«, bestätigte Wulfila. »Hat er zu Lebzeiten einen Purpurmantel mit Pelzbesatz gehabt? Hochmütig genug wäre er gewiss gewesen.«
    »Er hat ihn nicht mit ins königliche Heerlager genommen«, sagte Ardeija, recht verlegen, dass auch noch die Anmaßung seines toten Herrn zur Sprache kommen musste; dass Gudhelm sich entschlossen hatte, als Geist umzugehen, war bereits mehr als genug. »So unbedacht wäre er nicht gewesen. Aber nun, da er ein Gespenst ist, kann er es sich wohl leisten, aufzutreten, wie es ihm behagt.«
    »Irgendetwas muss man von seinem Geisterdasein ja haben, nicht wahr? Er war es jedenfalls, das habe ich mir nicht eingebildet, auch wenn ich erst dachte, Wulfin müsse sich geirrt haben, als er mir sagte, ein Mann im Königsmantel sei in den Garten gekommen.«
    »Ich habe Wache gehalten«, warf der Junge erklärend ein, nicht ohne einen gewissen fragwürdigen Stolz darauf, bei dem unrühmlichen kleinen Diebstahl eine so wichtige Rolle gespielt zu haben.
    Wulfila lächelte. »Und du hast deine Sache gut gemacht. Es war einer dieser Bauerngärten zwischen Hecken, wie es sie hier oben allenthalben gibt. Man wird dort nicht zu rasch gesehen, doch der Nachteil ist, dass man selbst nicht viel bemerkt, wenn jemand sich leise nähert, und der Geist war leise. Hätte Wulfin mir nichts gesagt, hätte ich ihn nicht so bald gesehen. Doch er war dort, auf dem Pfad, am Eingang des Gartens zwischen der Hauswand und der Hecke, und ich hielt es für angeraten, rasch
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