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Tricontium (German Edition)

Tricontium (German Edition)

Titel: Tricontium (German Edition)
Autoren: Maike Claußnitzer
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sich fragte, ob Wulfila und sein Kind sich gewöhnlich in Kreisen bewegten, in denen eine Entführung als achtbares Mittel galt, an Geld zu gelangen.
    »Vermutlich«, entgegnete er. »Aber wie kommst du darauf?«
    Wulfin sah ihn mitleidig an. »Sie wollen Euch nicht umbringen, sonst hätten sie keinen Arzt geschickt«, erklärte er so langsam, als sei er nicht sicher, ob Ardeija ihm folgen konnte, »aber sie haben Euch hier eingesperrt, damit Ihr nicht fliehen könnt, statt Euer Ehrenwort zu verlangen und Euch wie einen Gast zu halten, wie man es mit Helden gewöhnlich tut. Sie wollen also Geld.«
    Der Junge musste zu viele alte Lieder und Geschichten gehört haben. »Ich bin kein Held«, sagte Ardeija und fand sich von einem beinahe empörten Blick getroffen, bevor er sich belehren lassen musste, dass seine Selbsteinschätzung sehr zu wünschen übrig ließ.
    »Ihr habt gesagt, dass Ihr Ardeija seid, und wenn Ihr Ardeija seid, wart Ihr Fürst Gudhelms Schwertmeister, der jüngste, den man je auf Sala hatte. Eure Mutter kam von den Barsakhanen in der Steppe, und Ihr hattet ein Zauberschwert. Man sagt, dass Ihr damit auf einer Rosenknospe in vollem Lauf einen Tautropfen teilen konntet, ohne die Knospe selbst zu verletzen, und überhaupt seid Ihr kaum jemals im Einzelkampf besiegt worden. Wenn Ihr Ardeija seid, dann seid Ihr ein Held.«
    Die Frage, aus welcher Quelle Wulfin dieses teilweise selbst für den neuernannten Helden erstaunliche Wissen geschöpft haben mochte, stellte sich kaum, und Ardeija warf Wulfila einen tadelnden Blick zu, der keinerlei sichtbare Regung hervorrief, bevor er wieder den Jungen ansah: »Du solltest nicht alles glauben, was dein Vater erzählt.«
    »Mein Vater lügt nicht«, sagte Wulfin, nicht trotzig, sondern mit der Ruhe eines von seinem Wissen überzeugten Menschen. »Ihr seid nur bescheiden.«
    »Wenn du es sagst, wird es so sein«, erwiderte Ardeija. »In dem Fall erinnert er sich aber ganz offensichtlich an einige Dinge, die mir entfallen sind.«
    »Ihr seid noch müde«, entgegnete Wulfin freundlich und streichelte Gjukis Bauch.
    Ardeija konnte kaum guten Gewissens das Gegenteil behaupten. »Ja. Ich bin müde.« Vielleicht hätte er es eher Schwäche als Müdigkeit nennen sollen, doch ein Tag, an dem schon die Enge eines kahlen Kerkers zu groß und verwirrend schien, um ganz fassbar zu sein, war keiner für feine Unterscheidungen. »Es wird bald besser werden, hoffe ich.«
    Wulfila hatte den Krug wieder abgestellt, doch nicht an seinen alten Platz, sondern näher bei der Strohschütte, die Ardeija als behelfsmäßiges Bett diente, gerade so weit entfernt, dass das Gefäß noch gut zu erreichen war, ohne in ständiger Gefahr zu sein, durch eine hastige Bewegung umgestoßen zu werden. »Wenn es dir spätestens morgen so gut ginge, dass man dich unbesorgt alleinlassen könnte, wäre ich froh.«
    »Lässt man euch morgen frei?« Ardeija ahnte, dass es so einfach kaum sein würde, doch wem wäre geholfen gewesen, wenn er seine Befürchtungen laut ausgesprochen hätte?
    »Der Fürst will morgen über mich entscheiden«, erwiderte Wulfila denn auch nur mit nicht sehr zuversichtlicher Miene, »aber dass er uns hierher zurückstecken lässt, um Bedenkzeit zu gewinnen, glaube ich kaum. Folglich werden wir wohl gehen können, früher oder später.« Er hatte sich gut in der Gewalt, doch kurz hatte er, während er gesprochen hatte, zu Wulfin hinübergesehen, und Ardeija wusste genug. Niemand würde sich um den Jungen kümmern oder ihn auch nur aus der Sache heraushalten können, wenn es seinem Vater schlecht erging.
    »Was wirft er dir denn vor?«, fragte Ardeija und meinte eher: Wie schlimm steht es? Das aber hätte er nicht laut gesagt, nicht vor dem armen kleinen Wulfin, der ihrer Unterhaltung ohnehin schon zu aufmerksam lauschte.
    Wulfila zupfte einen Strohhalm von Ardeijas Decke. »Nur einen Kürbis, den ich wohl in dem Garten unten im Dorf, in dem ich ihn gefunden habe, hätte lassen sollen … Nichts weiter also, und wir wären gar nicht bemerkt worden« – er hielt, gewiss nicht ohne Berechnung, kurz inne –, »wenn wir nicht das Gespenst gesehen hätten.«
    »Das Gespenst?«, wiederholte Ardeija erstaunt, ohne am Wahrheitsgehalt von Wulfilas Worten zu zweifeln. Er hätte selbst schwören können, dass er in der alten römischen Nekropole, die sich vor dem Südtor von Aquae Calicis beiderseits der Straße ein gutes Stück ins Land hinein erstreckte, im Dunkeln mehr als einmal die
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