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Treue Genossen

Treue Genossen

Titel: Treue Genossen
Autoren: Martin Cruz Smith
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Surin.
    »Flugsteig B10«, las Arkadi auf Antons Bordkarte. Er gab ihm die Tickets und Papiere zurück. »Wenn ich Sie wäre, würde ich jetzt zum Flugsteig gehen.« Als Anton den Mund aufmachte, um etwas zu sagen, gab ihm Arkadi einen Schubs.
    »Drehen Sie sich nicht um.«
    Anton gesellte sich zu Mutter und Tochter. Eingerahmt von den beiden, sah er menschlicher aus. Arkadi beobachtete, wie sie ihr Gepäck aufnahmen und sich unter die Menge mischten, die zu den Flugsteigen strebte. Anton setzte trotz der düsteren Beleuchtung eine Sonnenbrille auf. Das Mädchen winkte.
    »Renko, können Sie nicht bleiben, wo Sie sind?« Surin stampfte mit dem Fuß auf. »Wer war der Mann?«
    »Ich dachte, ich kenne ihn.«
    »Und? Kennen Sie ihn?«
    »Kein bisschen, wie sich herausgestellt hat.«
    Sie kehrten in das Pub zurück. Surin zündete sich eine Zigarre an und las Zeitung. Arkadi versuchte, still zu sitzen, konnte aber nicht, nicht, wenn so viele Menschen an ihm vorbeiströmten - und mit ihnen so viele Möglichkeiten, so viele Leben.
    Im Dezember statteten sie ihnen einen Besuch ab. Eva hielt einen eintägigen Aufenthalt in der Zone aus ärztlicher Sicht für vertretbar, auch wenn Schenja sie mit der Begeisterung einer Geisel begleitete. Wenigstens hatte Arkadi den Jungen dazu gebracht, eine neue Jacke zu tragen. Das war schon Erfolg genug.
    Etwas Schnee war gefallen und hatte einen weißen Mantel über das Dorf gebreitet. Brombeersträucher hatten sich in Schneeblumen verwandelt. Jede baufällige Hütte trug ein weißes Muster, und auf jedem verlassenen Stuhl lag ein Kissen aus Schnee. Die gesamte Einwohnerschaft war erschienen - Klara, die Wikingerin, Olga mit den trüben Brillengläsern, Nina mit der Krücke und natürlich Roman und Maria - und hieß sie mit Brot, Salz und Samogon willkommen. Vanko war aus Tschernobyl herübergekommen. Selbst die Kuh streckte den Kopf aus dem Stall, um festzustellen, was die Ursache für den Lärm war.
    Maria quetschte alle in ihre Stube, in der sie warmen Borschtsch und noch mehr Samogon servierte. Die Männer aßen im Stehen. Fenster beschlugen, und Wangen röteten sich. Schenja bestaunte den Herd mit der Schlafbank, und Arkadi vermutete, dass der Junge Bauernhäuser bislang nur aus Märchenbüchern kannte. Er wandte sich Arkadi zu und formte stumm mit den Lippen »Baba Jaga«. Die Stube war noch genau so, wie Arkadi sich an sie erinnerte. Dieselben Gobelins mit Waldmotiven und rotweißen Stickereien, die Familienikone hoch oben in ihrer Ecke und an der Wand Fotografien von Roman und Maria in jungen Jahren, ihrem Sohn mit seiner Frau und ihrer Tochter und von derselben Enkelin an einem kubanischen Strand.
    Eva stand im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, denn Maria und ihre Freundinnen wollten von ihr wissen, wie es ihr in Moskau gefiel. Sie schilderte alles in rosigen Farben, doch Arkadi wusste, dass sie über den Umzug nach Moskau nicht immer glücklich war. Zwar hatte sie die Zone endgültig hinter sich gelassen und Arbeit in einem Krankenhaus gefunden, doch nicht selten hatte sie das Gefühl, Irinas Platz einzunehmen oder die bloße Hülle einer Frau zu sein, die nur so tat, als wäre sie eine richtige Frau. Doch es gab auch Tage, die schön waren, und manche waren sehr schön.
    Unter dem Einfluss des Samogons machte Vanko die vertrauliche Mitteilung, dass man seit Alex Gerasimows Tod aus Russland kaum noch Gelder für ökologische Forschungsprojekte erhalte. Ein Forschungsteam aus Texas rücke jedoch nach und werde wahrscheinlich auch einige Einheimische brauchen. Eventuell leisteten auch die British Friends of the Ecology einen Beitrag. Hoffe er jedenfalls.
    Maria lachte über alles, was Eva erzählte. Mit ihren bunten Tüchern sah sie aus wie ein zweimal verpacktes Geschenk, und ihre Stahlzähne blitzten. Eine beinahe kindliche Fröhlichkeit hatte die alten Dorfbewohner erfasst, eine Aufregung, die trotz ihrer Höflichkeit überbordete.
    Roman zog Arkadi schüchtern beiseite und sagte: »Seit fast einem Jahr hat uns niemand von der Familie besucht. Nicht einmal den Friedhof. Können Sie sich das vorstellen?«
    »Tut mir Leid, das zu hören.«
    »Ich kann es ja verstehen. Sie sind beschäftigt, und sie wohnen weit weg. Ich hoffe, Sie sind mir nicht böse, dass ich die Gelegenheit Ihres Besuchs so schamlos ausnutze, aber ich weiß nicht, wann ich jemals wieder drei Männer hier habe. Man braucht nämlich drei Männer dazu. Deshalb habe ich Vanko eingeladen. Keine Sorge, ich habe alte
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