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Treue Genossen

Treue Genossen

Titel: Treue Genossen
Autoren: Martin Cruz Smith
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schlage vor, Sie trinken noch eine Flasche irisches Bier, und ich gehe inzwischen in den Dutyfree-Shop und besorge ein paar anständige Zigarren. Aber rühren Sie sich nicht von der Stelle.«
    Arkadi nickte. Das Defilee bot ihm Unterhaltung genug. Ein Junge ging wie in Zeitlupe mit seinem Gameboy vorbei. Eine schöne Frau fuhr in einem Rollstuhl vorüber, den Schoß voller Rosen. Eine Gruppe japanischer Schulmädchen versammelte sich für ein Foto um zwei Milizionäre mit einem Hund. Die Mädchen kicherten hinter vorgehaltener Hand.
    Noch in derselben Nacht, in der er mit Alex’ Pritschenwagen zu Evas Hütte gefahren war, waren sie mit Evas Auto nach Pripjat zurückgekehrt. Tags darauf wurden die vier Leichen entdeckt. Hauptmann Martschenkos kleine Miliztruppe war fassungslos - und fand sich in einer peinlichen Lage wieder, denn drei der Toten gehörten zu den Leuten des Hauptmanns. Kiew schickte Kriminalbeamte und Gerichtsmediziner, doch in Anbetracht der hohen Strahlenwerte auf dem Gelände wurde der Tatort nur flüchtig untersucht. Einer der Toten war selbst verstrahlt, und ein zweiter, ein Russe, war in absolut professionellem Stil mit einem Kopfschuss exekutiert worden. Ob es ein Zufall gewesen sei, wollten die Beamten aus Kiew wissen, dass sich in derselben Nacht ein russisches Sicherheitsteam unter dem Kommando von Oberst Oschogin in der Sperrzone aufgehalten habe? Die Beantwortung einer solchen Frage setzte einen offenherzigen Dialog zwischen den beiden Ländern voraus und eine gründliche, schonungslose Untersuchung nicht nur der Verbrechen, sondern auch der Missstände bei Miliz und Zonenverwaltung, mit anderen Worten das ehrliche Bemühen, die gesamte untragbare Situation zu klären. Oder aber man kehrte das Problem kurzerhand unter den Teppich.
    Arkadi leerte ein zweites Bier und kaufte sich eine Zeitung. Vielleicht tat er gut daran, sich auf den neuesten Stand zu bringen. Surin war anscheinend damit zufrieden, sich im Dutyfree-Shop nach französischen Cognacs, Seidenkrawatten und türkisch gemusterten Halstüchern umzutun. Wieder zogen die japanischen Schulmädchen vorbei. Aus der anderen Richtung kam ein etwa achtjähriges Mädchen mit großen Augen und sehr dunklem, schulterlangem Haar. Es hüpfte und schwenkte ein Fähnchen. Auf die gleiche Weise hatte er es auf dem Unabhängigkeitsplatz tanzen sehen. Es war die Tochter der Zahnärztin.
    Arkadi faltete die Zeitung zusammen und folgte ihr. In der Wartehalle kampierten ganze Familien, andere dösten oder warteten ungeduldig mit unrasierten Gesichtern, und eine wogende Menge strömte gemächlich, aber unablässig an Souvenirläden, Geldautomaten und Zeitungskiosken vorbei. Das Mädchen flitzte in einen überfüllten Musikladen. Das Fähnchen wies Arkadi den Weg, bis er sie in einer dunklen Ecke mit einer Frau in einem eleganten, vermutlich italienischen Reisekostüm entdeckte. Dr. Levinson. Viktor hatte sich um das Leben der Zahnärztin gesorgt, aber jetzt machte sie einen rundum glücklichen Eindruck, eine attraktive Frau, die ihr Reisefieber nicht ganz zu unterdrücken vermochte. Das Mädchen gab ihr einen Kuss und entschwand seinem Blick.
    Das Fähnchen tauchte an einem Kiosk wieder auf, der neben Zeitschriften und Taschenbüchern auch Parfüm, Nagellack, Kondome und Aspirin verkaufte. Eine Lippenstiftauslage war drei Etagen hoch gestapelt. Das Mädchen zwängte sich durchs Gewühl und ergriff die Hand eines Mannes, der vor einem Regal mit Zahnpasta stand. Er trug die Windjacke und die Mütze eines amerikanischen Golfers. Sein Haar war braun, nicht gebleicht, und ein Ehering hatte das Diamanthufeisen am Finger ersetzt, doch Arkadi erkannte sofort die hängenden Schultern und das ausladende Kinn Anton Obodowskis. Eine Zahnpasta versprach weißere Zähne, eine andere ein sympathischeres Lächeln. Wie sollte man sich da entscheiden? Anton scherzte mit dem Mädchen, das übers ganze Gesicht strahlte. Sein Lachen erstarb, als er Arkadi den Gang entlangkommen sah. Er schickte das Mädchen mit einem Kuss fort und legte die Zahnpasta ins Regal zurück.
    Arkadi schlenderte durch den Gang, als erwäge er den Kauf von Toilettenartikeln. »Wohin soll es denn gehen?«
    »Weit weg«, antwortete Anton mit gedämpfter Stimme.
    Auch Arkadi sprach leise. Er hielt sich an die Spielregeln.
    »Zeigen Sie mir Ihren Pass und Ihr Flugticket.«
    »Sie haben hier keine Amtsgewalt.«
    »Her damit.«
    Anton zog die Papiere aus der Windjacke. Er schluckte schwer und lächelte
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