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Treibgut der Strudelsee

Treibgut der Strudelsee

Titel: Treibgut der Strudelsee
Autoren: Horst Hoffmann
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Steinmann einen Stoß. Chrandor kroch an ihm vorbei und zog ihn mit sich. Der Sturm rüttelte an beiden. Von Jejeds Männern und den Kindern war nun nichts mehr zu sehen. Sie wurden unter Deck gebracht.
    Sadagar merkte erst, dass er den Aufbau erreicht hatte, als er hart mit dem Kopf dagegen stieß. Und im gleichen Augenblick erstarb der Sturm. Die schwarzen Wolken teilten sich und ließen die Strahlen der Sonne durch. Binnen weniger Atemzüge hörte auch der Regen auf, und dann war klarer blauer Himmel über diesem Teil der Strudelsee.
    »War das… der Kleine Nadomir?« fragte Chrandor flüsternd.
    Wortlos schüttelte Sadagar den Kopf. Er begriff nicht, was geschehen war, was das Unwetter so plötzlich gebannt hatte. Irritiert sah er sich um. Unter den Ruderern schien wieder ein Tumult ausgebrochen zu sein, denn die Seefahrer, die jetzt wieder an Deck auftauchten, beeilten sich, auf die Ruderbänke hinab zu klettern.
    Chrandor aber schien, von alledem völlig unbeeindruckt. »Das ist die Gelegenheit für uns«, flüsterte er. »Aß, willst du für uns gehen? Oder du, Baß? Baß? Also schön. Ich will wissen, was dort drinnen geredet wird.«
    In diesem Moment war Sadagar zutiefst davon überzeugt, es mit einem Verrückten zu tun zu haben, dem ein schreckliches Schicksal den Verstand geraubt hatte. Was er dann aber mit ansehen musste, ließ ihn an seinem eigenen Verstand zweifeln.
    Der Stulpenhandschuh löste sich von Chrandors linkem Arm, und ein glitschiges Weichtier mit fünf Tentakeln kroch daraus hervor, huschte schnell über die Planken und verschwand im offenen Türspalt.
    »Das ist Baß«, flüsterte Chrandor. »Er wird uns bald sagen, was wir wissen wollen. Ein Glück für uns, dass der Magier die Tür auch bei dem Regensturm auflassen musste, um das Unwetter bannen zu können.«
    »Aß und… Baß…«, krächzte der Steinmann. »Das sind… sie? Diese Tiere?«
    »Meine Hände«, sagte Chrandor. Liebevoll lächelte er und betrachtete das Spiel der fünf Finger, die er noch hatte. »Sie sind meine Hände, Freund Sadagar, aber Hände mit Augen, die sehen, und mit Ohren, die jedes geflüsterte Wort verstehen.«
    In stummer Verzweiflung schüttelte der Steinmann den Kopf.
    *
    Natürlich hatte Chrandor recht seltsame Vorstellungen von Magie, und natürlich war es reine Spekulation von ihm, dass die Tür des Deckaufbaus einen Spaltbreit offengeblieben war, selbst im Unwetter, weil der Magier einen Blick nach draußen haben musste. Tatsache war, dass Rachamon die Tür nicht ganz verschlossen hatte und dies auch nicht nachholte, als der Sturm den Regen in die Unterkunft blies.
    Im flackernden Licht einer Öllampe wirkte des Seemagiers Gesicht noch härter, noch gefühlloser, noch überheblicher. Dunkle Schatten umspielten seine Züge auf der bronzefarbenen Haut. Niemand wusste, woher er kam, nicht einmal der Kapitän der Gasihara. Man fragte nicht danach. Rachamon hatte bei seiner ersten Fahrt mit der Lichtfähre bewiesen, dass er eine Menge von seiner Kunst verstand. Mehr als einmal hatte er das Schiff sicher durch die Tücken der Strudelsee gelotst, die Strömung und das Wetter günstig beeinflusst .
    Auch hüteten sich Jejed und seine Männer, Rachamon Fragen nach seiner magischen Kunst zu stellen. Selbst jetzt, als der Magier sichtlich erschöpft an einem Balken lehnte, schwieg Jejed.
    Das Mädchen lag zusammengerollt auf dem Boden, dann und wann leise schluchzend.
    »Sie hat keine Schuld«, sagte Rachamon endlich. »Nicht sie beschwor das Unwetter über uns herauf.«
    »Nicht… sie?« fragte Jejed überrascht. Auch ihm haftete wie fast allen Seeleuten dieser Region etwas von dem Aberglauben an, eine Frau an Bord bringe Unglück.
    »Nicht sie«, wiederholte der Magier bestimmt. »Es ist etwas anderes, einer von den Legionären vielleicht, möglicherweise aber auch etwas, das sich noch nicht zeigt.«
    Jejed, der Hüne aus dem fernen Moro-Basako, wich unwillkürlich einen Schritt vor Rachamon zurück. Er hatte gesehen, wie der Magier den Zauber wirkte, der das Unwetter bannte. Zum erstenmal war er nicht von Rachamon fortgeschickt worden. Das machte ihm diesen noch unheimlicher, ihn und seine Tiere. Über ein volles Dutzend der geheimnisumwitterten Siebenläufer verfügte Rachamon. Jejed hatte nie zuvor eines dieser seltenen Wesen gesehen, die im Süden der salamitischen Wüste lebten und dort als Glücksbringer galten. Außerdem sagte man ihnen eine ganz besondere Wetterfühligkeit nach. Vorhin jedoch, als der
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