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Treibgut - 11

Treibgut - 11

Titel: Treibgut - 11
Autoren: Karl-Heinz Witzko
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Sollen sie sich benehmen wie wir?« Denn natürlich war auch Nestorio nur ein Sklave, wenn auch der oberste, der Bonze. Marno hatte ihn vor zwei Jahren in der Arena gekauft. Ein guter Mann, jedenfalls dann, wenn man ihn bisweilen an seinen Stand erinnerte.
    »Natürlich nicht, Liebste«, entgegnete Marno und kehrte zurück ins Schlafzimmer. »Aber müssen sie immer schreien? Können sie sich nicht einfach still verhalten und tun, was man von ihnen erwartet?«
    Imelde folgte ihrem Mann nach drinnen. Er hatte den Seidenmantel abgeworfen, stand jetzt völlig nackt da und war eben dabei, seine Garderobe für diesen Tag zu wählen. Er sah immer noch aus wie vor zehn Jahren, als sie ihn das erste Mal getroffen hatte, stellte Imelde fest, immer noch diese kräftige und doch jungenhafte Figur. Daran hatte sich nichts geändert, während sie selbst etwas, nun, fraulicher geworden war. Kurz dachte sie an die Alte und die düsteren Gedanken, die sie bei ihr geweckt hatte. Sie schüttelte unwillig den Kopf. Es gab Wichtigeres: Welche Kleider sollte sie selbst heute tragen?
    Kurzentschlossen, wie es seine Art war, hatte sich Marno für die gelbe Hose aus Elfenbausch, die ihm Imelde zu seinem letzten Tsatag geschenkt hatte, und ein besticktes Leinenhemd aus Drôl entschieden. Er sah stattlich darin aus, fand seine Frau. Er kann tragen, was er will, dachte sie ein wenig neidisch. Ganz im Gegensatz zu ihr selbst. Sie setzte sich an das Frisiertischchen, nahm den kleinen Spiegel in die eine Hand, tauchte mit der andern ein Bauschbällchen in ein Tiegelchen und begann sich zu schminken.
     
    Einige Zeit später, für Marnos Geschmack etwas zuviel später, stiegen er und seine Frau die Treppe hinunter und gingen durch den dunkelgetäfelten langen Gang, an dessen Wänden die von Imeldes Großvater Micirio gemalten Bilder hingen. ›Das einfache Leben auf dem Lande‹, ›Die wüsten Bräuche der Waldmenschen‹ oder ›Al’Anfa bringt den Mohas seine Segnungen‹ stand auf kleinen Holztäfelchen darunter. An einem Morgen wie diesem, wenn er besonders lange auf seine Frau warten mußte, fand Marno die Machwerke schier unerträglich. Nicht genug damit, daß Imeldes Ahn offenbar keinerlei Gefühl für Komposition besessen hatte, er schien auch bar jeder Kenntnis der Dinge gewesen zu sein, die er gemalt hatte. Das einfache Leben auf dem Lande! Dieser Geck hatte wahrscheinlich seiner Lebtag keinen Fuß aus Al’Anfa hinausgesetzt, und was die ›wüsten Bräuche der Waldmenschen‹ anbelangte, so hatte Marno schon mit zehn Jahren offenbar mehr darüber gewußt als Micirio mit sechzig. Schließlich die ›Segnungen Al’Anfas‹. Marno war nicht Zyniker genug, um sich nicht einzugestehen, was diese Segnungen wirklich bedeuteten. Er hatte im Alter von dreizehn Jahren einer dieser ›Segnungen‹ beigewohnt, anschließend war er zwei Tage ›unpäßlich‹, das heißt, er hatte sich vor Entsetzen die Seele aus dem Leib gekotzt. Allerdings war er damals noch ein Kind gewesen, das entschuldigte vieles, sagte er sich, und die Welt war nun einmal so, wie sie war. Wäre es nach ihm gegangen, dann wären diese Schinken schon lange abgehängt worden und in einer düsteren Kammer weitab verschwunden, doch Imelde wollte dies nicht gestatten.
     
    Endlich hatten sie das Speisegemach erreicht. Es war ein heller Raum, dessen Wände bis in Hüfthöhe mit gelben Fliesen verblendet waren, auf denen sich in Unauer Blau Tiere und Pflanzen tummelten, umgeben von ornamentalen Schlangenlinien in Purpur und Meergrün. Diese Kacheln umrahmten auch Tür- und Fensterbögen. In einer Ecke des weißgetünchten Raums stand ein Mohakrieger aus dunklem Holz, in der Hand einen Speer und auf dem Kopf eine Krone aus leicht verstaubten weißen Federn. Ernst und regungslos starrte er über den langen Tisch mit den hochlehnigen Stühlen hinweg, zu den halboffenen Fenstern mit den bleigefaßten Rauten aus gelbem Glas. Er hatte schon seit Jahren keine Nase mehr – ein Werk Klein-Imeldes, ebenso wie die Schriftzeichen auf seiner Brust, die sie dort als Kind eingeritzt hatte. Ein waagrecht an der Wand hängender Sklaventod, darüber ein Kranz Messer und Dolche aus vielen Teilen Deres – Mengbillaner, Borndolche, Waqqifs, nivesische Wolfsmesser, nostrische Rundschäler –, ebenfalls Hinterlassenschaften von Großvater Micirio, vervollständigten die Einrichtung des Raumes.
    Marno und Imelde hatten eben an den gegenüberliegenden Enden des Tisches Platz genommen, als die Tür
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