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Treibgut - 11

Treibgut - 11

Titel: Treibgut - 11
Autoren: Karl-Heinz Witzko
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an. Nur eine Nachahmung Perjins, mehr nicht, denn Xanjida hatte die Frau erst an diesem Morgen kennengelernt. Eine humorvolle Person, wie es schien, mit weichen Augen, bisweilen etwas hilflos wirkend. Wenn man nicht wußte, was sie war, so käme man gewiß nicht darauf, doch so hatte Rur die Welt geschaffen, und nur weil er bestimmt hatte, daß Marasken und Parder so gefährlich aussahen, wie sie waren, mußte das nicht für alle Kinder seiner Schöpfung gelten. Schwierige Zeiten, dachte die Priesterin, seltsame Zeiten, die eigenartige Weggefährten mit sich brachten. Ein Ruf Perjins riß sie aus ihren Gedanken. Sie verstand nicht, was er gerufen hatte, da seine Worte von dem spitzen Schrei eines Tieres übertönt wurden. Preiset die Schönheit? Vermutlich. »Preiset die Schönheit, Bruderschwestern!« rief Xanjida, die Priesterin der Zwillinge, und wandte sich zum Gehen. Ein Tropfen fiel auf ihre Wange. Sie wischte ihn ab und schaute nach oben. Kein Wölkchen zog über den sommerlichen Himmel. Statt dessen entdeckte sie nahezu unmittelbar über sich einen großen Vogel, der etwas noch schwach Zappelndes in den Klauen davontrug, irgendein kleines Tier. Xanjida blickte auf ihre Hand, sah die Fingerspitzen rotverfärbt von dem, was ihre Wange getroffen hatte. Blut, ein einzelner blutiger Tropfen. Das war nicht das beste aller Omen für die Suche nach dem Ort, wo Asboran erbaut werden sollte. Wahrlich nicht.
     
     
     

 
     
    Sachte, so daß Marno, ihr Mann, nicht geweckt wurde, schlug Imelde die Decke zur Seite, schwang die Beine aus dem Bett und schlüpfte in die zierlichen Pantöffelchen aus rotem Samt, die mit kleinen Perlen aus blauem Glas besetzt waren. Vorsichtig drückte sie sich von der Bettkante ab, warf einen leichten Morgenmantel über und trat zur Tür, die auf den Balkon führte. Leise klimperten die Schnüre des Perlvorhangs, als sie sie zur Seite schob und einen halben Schritt ins Freie tat. Es war noch früh am Morgen, noch nicht sonderlich warm, selbst dort, wo die Sonne die Schatten bereits vertrieben hatte. Imelde schaute hinunter auf den Hof, der öde und verlassen dalag, abgesehen von Porquina, die mit ihren Welpen schnüffelnd herumlief, und der Alten, wie hieß sie noch, Shahane oder so ähnlich. Die alte Frau stand neben einem Eimer, der bis zum Rand mit Wasser gefüllt war, die Hände an die Nieren gedrückt, sich leicht zurückbeugend. Sie wird langsam alt, dachte Imelde mit einem leichten Stirnrunzeln. Wir werden uns bald etwas einfallen lassen müssen.
    Alt – sie mochte dieses Wort nicht sonderlich, es schien ihr gewöhnlich und unausweichlich mit fettleibigem Verfall und einem muffigen Geruch verbunden, es klang auf eine bedrohliche Weise schamlos, war wie ein Blick auf die Falten von Satinavs Haut. Sie fürchtete sich vor dem Wort, obwohl sie selbst noch keine dreißig Jahre zählte. Entschlossen riß Imelde ihren Blick von der Frau los und ließ ihn über die schwarzen Hänge des Visra und die bunte Vielfalt der Stadt schweifen, über die Terrassen, wo das Leben schon etwas früher begonnen hatte, bis zur Bucht, deren Wasser im Licht der Morgensonne golden glitzerte. Der Tag war klar, wenig Staub lag in der Luft, in der als verführerisches Parfüm ein leichter Blütengeruch schwebte. Es war einer dieser Frühlingstage, an denen Imelde ihre Stadt liebte. Sie dachte dann stets: Gibt es etwas Schöneres als Al’Anfa im späten Frühling? Imelde konnte es sich nicht vorstellen.
    Spielerisch wickelte sie sich eine der Perlenschnüre um den Zeigefinger und ließ den Blick weiterwandern zum Palmenpark, den man ganz gut von hier aus sah. Jahre mußten vergangen sein, seit sie zum letzten Mal dort gewesen war, dachte sie mit Bedauern, und erinnerte sich zurück an die Zeit vor ihrer Vermählung, als Marno noch um sie geworben hatte. Damals waren sie und ihre Freunde und Freundinnen oft dort gewesen. Sie waren ein lustiger Haufen, ein wilder, manchmal sogar ein sehr wilder, und die Welt stand noch weit und offen. Das hatte sich geändert, als man beschloß, sittsam zu werden. Für Ivonya und Simodo war die Zeit gekommen, ihr Erbe anzutreten, andere waren von ihren Familien genötigt worden, sich für irgendeine leidige Tätigkeit zu entscheiden, oder hatten geheiratet. Torquinio, von dem es niemand erwartet hätte, hatte plötzlich eine religiöse Anwandlung bekommen und war in den Borontempel eingetreten. Schließlich war da noch dieser Krieg, dieser lästige Krieg gegen die unkultivierten
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