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Treibgut - 11

Treibgut - 11

Titel: Treibgut - 11
Autoren: Karl-Heinz Witzko
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Barbaren der Khom, so daß eines Tages, als Imelde sich umschaute, nur noch Marno übriggeblieben war.
    Imelde hatte nicht gehört, daß ihr Gemahl aufgestanden war. Er konnte sich sehr leise bewegen, und so bemerkte sie ihn erst, als er hinter ihr stand, ihr das Haar aus dem Nacken strich, sein Gesicht dagegen drückte und ihre Brüste mit den Händen umfaßte.
    Es war nicht wahr, daß sie ihn nur deshalb geheiratet hatte, weil es keinen sonst mehr gab – er hatte ihr immer gefallen. Am meisten seine Nase, diese unglaublich edle Nase, und das Verwegene, leicht Piratenhafte, das ihn umgab. Tatsächlich war er alles andere als ein Pirat, nicht einmal ein Al’Anfaner im engeren Sinne, sondern nur der zweite Sohn eines Plantagenbesitzers aus der Gegend von Mirham. Ein Junge vom Land sozusagen, obwohl er sich stets so gegeben hatte, als wäre selbst das große Al’Anfa wenig mehr als ein kleines Dorf für ihn, als hätte er bereits ganz Dere gesehen. Er hatte viele Geschichten zu erzählen gehabt, bunte, lustige, verrückte, und manchmal hatte er seltsame, auch ein wenig erschreckende Einfälle gehabt, besonders in jener Nacht. Ein heißer Schauer überlief Imelde bei dieser Erinnerung. Sie und Marno hatten später nie darüber gesprochen. Es war ungeheuerlich gewesen, selbst für Al’Anfa. All das hatte zu Marno einmal dazugehört, das war das Traurige: hatte. Etwas Wehmut war mittlerweile in Imeldes Herz geschlichen. Wenn sie es sich recht überlegte, so war ihr Leben früher spannender gewesen, und wenn sie es sich ehrlich eingestand, so war es heutzutage eher langweilig. Sie seufzte laut bei diesem Gedanken.
    Der braungelockte Mann hinter ihr mißverstand den Seufzer, was ihn veranlaßte, Imeldes Nacken mit kleinen Bissen zu liebkosen und ihre Brüste zu kneten. »Sch-sch!« sagte Imelde, löste die Hände ihres Gemahls von ihrem Busen, wandte sich um, schaute in die blaßgrauen Augen, in denen noch der Schlaf hing, und küßte ihn kurz auf die Nase, diese unglaublich edle Nase.
    Geschrei schallte aus dem Innenhof, eine barsche, vor Wut überschnappende Stimme, unverkennbar die Stimme Nestorios. »Habe ich es dir nicht schon oft genug gesagt? Hab ich das nicht? Ihr glaubt wohl, ihr könnt hinter meinem Rücken … Was? Hinter meinem Rücken, wie?« brüllte er. Neugierig geworden, zog sich Imelde aus den Armen ihres Gemahls und trat ganz hinaus auf den Balkon, der den gesamten Innenhof umlief. Sie stützte die Hände auf das Holzgeländer und beugte sich hinüber. Unten sah sie Nestorio im Streit mit der Alten. Sein Gesicht und der kahle Schädel waren zornrot, kleine Speicheltropfen sprühten beim Schreien aus seinem Mund. Mit seinen kräftigen Händen hatte er die Arme der Alten gepackt und schüttelte sie. Wie ein lebloses Ding hing sie in seinem Griff, ihr Kopf pendelte vor und zurück. Unvermittelt ließ er sie los, und sie fiel vor ihm zu Boden. Ohne mit seinem Geschrei aufzuhören, lief er vor ihr auf und ab, die Fäuste geballt, die Arme leicht angewinkelt. Irgendwie putzig! dachte Imelde amüsiert.
    Der Vorhang klimperte kurz, dann stand Marno neben ihr. Das Kinn energisch vorgeschoben, rief er hinunter in den Hof: »Nestorio! Habe ich dir nicht gesagt, daß ich morgens keinen Lärm dulde?«
    Der Schreihals verstummte augenblicklich. Den Kopf gesenkt, die Augen zum Boden gerichtet, antwortete er leise, aber deutlich verstehbar: »Verzeih mir, Herr, verzeih!« In dieser Haltung verharrte er, bis Marno mit einem Schlenkern der linken Hand hinzufügte: »Ist ja schon gut.« Der Getadelte wandte sich um zu der Alten, die sich inzwischen aufgerappelt hatte, versetzte ihr einen letzten Schlag mit der flachen Hand auf den Hinterkopf und folgte ihr dann unter die Arkaden, über welche die Ranken der Bugawara mit ihren blaugelben Sternblüten wie ein Wasserfall herabhingen.
    »Das Schreckliche an ihnen ist, daß sie so ganz und gar unzivilisiert sind und keinerlei Lebensart haben«, stellte Marno mit ehrlichem Bedauern fest und kratzte sich dabei an der Wange. Die Bewegung ließ den Ärmel des blauen Seidenmantels am Unterarm hinabrutschen, so daß die lange weiße Narbe auf der braunen Haut sichtbar wurde. Marno hatte seiner Frau nie erzählt, woher die Verwundung stammte, das heißt, er hatte es schon mehrmals getan, aber es war nie dieselbe Geschichte gewesen. Es schien ihm Spaß zu machen, für Imelde jedesmal eine neue zu erfinden. »Was erwartest du, Schatz?« antwortete Imelde. »Sie sind nur Sklaven.
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