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Treibgut - 11

Treibgut - 11

Titel: Treibgut - 11
Autoren: Karl-Heinz Witzko
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mochten. Vielleicht nicht viele während einer kurzen Zeitspanne, aber bestimmt etliche im Lauf der letzten Jahrhunderte. Keiner von ihnen hatte gesehen, was ich und zuvor Xanjida gesehen hatten.
    Warum werden Städte gebaut? Weil es zuvor einen günstigen Ort für eine Ansiedlung gibt, eine Bucht oder einen Fluß. Doch warum gab es zuvor die Bucht und den Fluß? Inmitten der Toten hob ich lachend die Arme und pries Rur.
    Ich verließ das Haus in zuversichtlicher Stimmung. Als ich draußen an dem alten Wagenrad vorbeikam, richtete ich es aus schierer Ausgelassenheit auf, rollte es vor mir her, bis es sich aus eigener Kraft bewegte, rannte neben ihm her, als es sich schneller drehte, es stetig antreibend, so lange, bis es zu schnell für mich wurde und unaufhörlich um seine Nabe kreisend einen Hügel hinabpolterte und verschwand.
    Da ich jetzt wußte, was ich zu tun hatte, umrundete ich langsam das Gebäude, darauf bedacht, mich stets weiter als einen Diskuswurf von allem fernzuhalten, was ich nicht überschauen konnte. Irgendwo mußte er sein. Ich glaubte nicht, daß die Person eine weibliche war, denn ich ahnte, wen ich treffen würde.
    Im Gegensatz zur Bruderschaft vom Zweiten Finger Tsas waren die Zaboroniten eine Sekte, weswegen sie aus Glaubensgründen grundsätzlich zu zweit ihre Geschäfte erledigten. Fand man einen, konnte der andere nicht weit sein. Ich glaubte nicht, daß sie ihre Bräuche inzwischen geändert hatten.
    Im Gehen rief ich nach ihm: »Ich bin Scheïjian, achtbares Mitglied der Bruderschaft vom Zweiten Finger Tsas. Ich habe deine Gefährtin erschlagen, was ein Fehler war. Ich weiß, wer sie war und wer du bist, und ich wünsche dich zu sprechen. Ich habe gefunden, weswegen ihr mir gefolgt seid, und ich werde dir sagen, wo der Ort ist.«
    Zum Zeichen, daß es mir ernst war, ergänzte ich im Ruuz unserer Vorfahren: »Ich bin der, der ich war, auch wenn ich mich nicht erinnere, Scheïjian. Ich bin der, der ich sein werde, auch wenn ich es nicht erahne, Scheïjian. Ich bin, wie ich war, wie ich jetzt bin, wie ich sein werde. Ich bin ich, ganz ich, Scheïjian.«
    Ich wußte, daß er die Worte der verschwundenen Sprache verstünde, denn schließlich waren sie die Erklärung eines der Rituale, die wir von ihnen geerbt haben. Er trat hinter einem einzeln stehenden Baum hervor. Wie ich erwartet hatte, war es der Weißblonde aus Kuslik. Von wegen ›Ihr seid ein schöner Mann!‹ Allerdings hatte er kaum sagen können: ›Ertappt, Bruder, ertappt!‹
    Aus sicherer Entfernung unterhielten wir uns, das heißt, ich sprach zu ihm, denn er schwieg. Ich erzählte ihm vom Amran Thjemen und verschwieg weder, daß es einen weiteren Ort gab, dessen Namen ich ihm jedoch nicht nannte, noch, warum ich ihn einweihte. Der Antrieb der Zaboroniten war immer der gewesen, die Schönheit der Welt nach ihrem Urteil und mit ihren Mitteln zu erhalten. Wenn es jemals eine Daseinsberechtigung für die Lehren Zaborons von Andalkan gab, dann in der nahen Zukunft. Schließlich versprach ich Ishajids Gefährten, das Geheimnis der Existenz der Zaboroniten für mich zu behalten, mahnte ihn und die Seinen, von uns wegzubleiben, und machte ihm klar, daß es ein Fehler wäre, aus dem Heute auf das Morgen zu schließen, denn die Bruderschaft ist und war die Bruderschaft. Ich ging. Er würde sich um seine tote Freundin kümmern und ihr Dahinscheiden beklagen, diesen Vorsprung wollte ich nicht vergeuden.
    Ich bin Scheïjian von Tarschoggyn, Magier und vielfacher Mörder. In ein paar Wochen werde ich den fünfundzwanzigsten Geburtstag feiern. Daß noch viele Jahre folgen werden, bezweifle ich, die Zeiten sind nicht danach. Ich denke nicht, daß es einen dreißigsten Tsatag für mich geben wird, allenfalls mit viel Glück. Ich werde dennoch unermeßlich viel länger gelebt haben als Querinia, was nicht die Zahl der Jahre meint. Jedoch nicht so lange wie Raschid, der an die vierzig sein muß, oder wie Rondriane. Vermutlich werde ich beide überleben, aber vielleicht hat Rondriane ja Glück. Doch wer weiß schon, wer sich noch regen wird, wenn der Bethanier erst zurückgekehrt ist. Dieser Fluß, der seine Quelle in der Vergangenheit hat, führt soviel Treibgut mit sich. Das Sterben macht mir etwas aus, doch wenn mein Tag gekommen ist, dann wird es mein Tag sein, und ich werde es nicht ändern können. Doch ich weiß, daß ich eines Tages wiederkehren werde, und Dharzjinion, der verfluchte Borbarad, wird trotz seiner vielen Dämonen nichts
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