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Traumsammler: Roman (German Edition)

Traumsammler: Roman (German Edition)

Titel: Traumsammler: Roman (German Edition)
Autoren: Khaled Hosseini
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und Knöpfe, die man öffnen und schließen kann. Baba tut das gern, und Penny meint, dass seine Finger so beweglich bleiben.
    Ich gab ihm einen Kuss auf die Wange und zog einen Stuhl heran. Man hatte ihn nicht nur rasiert, sondern auch seine Haare gewaschen und gekämmt. Sein Gesicht roch nach Seife.
    Morgen ist es so weit , sagte ich. Ich fliege nach Frankreich, um Pari zu besuchen. Du weißt doch noch, dass ich dir davon erzählt habe?
    Baba blinzelte. Er hatte sich schon vor dem Schlaganfall immer öfter in sich selbst zurückgezogen, war mit trüber Miene in langem Schweigen versunken. Seit dem Anfall ist sein Gesicht zu einer schiefen, aber freundlichen Maske erstarrt, nur dringt sein Lächeln nie bis zu den Augen vor. Er hat seit dem Schlaganfall kein Wort mehr gesprochen. Manchmal öffnen sich seine Lippen zu einem heiseren, gedehnten Laut, einem am Ende betonten, überraschten Aaaah , das sich anhört, als wäre ihm bei meinen Worten ein Licht aufgegangen.
    Wir treffen uns in Paris und fahren dann mit dem Zug nach Avignon in Südfrankreich. Dort haben während des vierzehnten Jahrhunderts die Päpste residiert, und wir werden uns alles anschauen. Aber das Tolle ist, dass Pari ihren Kindern von meinem Besuch erzählt hat und dass sie alle dorthin kommen.
    Baba lächelte ebenso starr wie vor einer Woche bei Hectors Besuch oder wie neulich, als ich ihm meine Bewerbung für das College of Arts and Humanities an der San Francisco State University gezeigt habe.
    Deine Nichte Isabelle und Albert, ihr Mann, besitzen ein Ferienhaus bei Les Baux, einer Stadt in der Provence. Ich habe es mir im Internet angesehen, Baba, und die Stadt sieht herrlich aus. Sie wurde auf Kalksteinfelsen in den Alpillen erbaut. Man kann sich die Ruinen einer mittelalterlichen Burg anschauen und hat einen großartigen Blick auf die Ebene mit den Obstplantagen. Ich werde dir später die Fotos zeigen.
    Eine alte Frau im Bademantel schob in der Nähe zufrieden Puzzleteile hin und her. Eine andere Frau mit weißen, wirren Haaren war bemüht, Gabeln, Löffel und Frühstücksmesser in eine Besteckschublade einzuordnen. Der große Bildschirm des in der Ecke stehenden Fernsehers zeigte Ricky und Lucy, die mit Handschellen zusammengekettet waren und sich lautstark stritten.
    Baba sagte: Aaaah.
    Alain – das ist dein Neffe – und seine Frau Ana reisen mit ihren fünf Kindern aus Spanien an. Ich weiß nicht, wie ihre Kinder heißen, aber ich werde es bald erfahren. Außerdem, und das ist Paris größte Freude, kommt auch ihr jüngster Sohn, Thierry, dein anderer Neffe. Sie hat ihn seit Jahren weder gesehen noch mit ihm gesprochen. Er hat einen Job in Afrika, nimmt aber eine Auszeit, um dabei sein zu können. Es wird also ein großes Familientreffen.
    Vor meinem Aufbruch gab ich ihm noch einen Kuss. Als ich meine Wange an sein Gesicht schmiegte, erinnerte ich mich daran, wie er früher zuerst mich vom Kindergarten und danach meine Mutter von ihrer Arbeit bei Denny’s abgeholt hatte. Während wir darauf warteten, dass meine Mutter sich ausstempelte, aß ich die Kugel Eis, die mir der Manager jedes Mal spendierte, und zeigte Baba meine im Kindergarten gemalten Bilder. Er beugte sich darüber, betrachtete sie eingehend und würdigte sie mit einem Kopfnicken.
    Baba lächelte immer noch.
    Ach – das hätte ich fast vergessen.
    Ich bückte mich für unser Abschiedsritual, strich ihm mit den Fingerspitzen über die Wangen, die gefurchte Stirn und die Schläfen, über sein graues, schütter werdendes Haar und die raue Haut hinter den Ohren und sammelte alle schlechten Träume ein. Dann öffnete ich den unsichtbaren Sack, gab die Albträume hinein und schnürte ihn zu.
    So.
    Baba brummte.
    Schöne Träume, Baba. In zwei Wochen sehen wir uns wieder. Mir wurde bewusst, dass wir noch nie so lange getrennt gewesen waren.
    Auf dem Weg hinaus hatte ich das deutliche Gefühl, dass Baba mir nachsah, doch als ich mich umdrehte, saß er mit gesenktem Kopf da und spielte mit einem Knopf an seiner Schürze.
    Pari erzählt von Isabelles und Alberts Ferienhaus. Die Fotos zeigen ein wunderschön restauriertes, provenzalisches Bauernhaus, aus Stein auf den Hügeln des Luberon erbaut, innen mit Terrakottafliesen und freiliegenden Balken, draußen mit Obstbäumen.
    »Man kann es auf den Fotos, die ich dir gezeigt habe, nicht sehen, aber man hat von dort einen tollen Blick auf die Vaucluse-Berge.«
    »Gibt es dort genug Platz für uns alle? Das Bauernhaus wird aus allen
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