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Traumkristalle

Traumkristalle

Titel: Traumkristalle
Autoren: Kurd Laßwitz
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Lyrika. Immer und immer ließ sie sich die Einzelheiten wiederholen und befragte die Dokumente, die ihr Strudel reichen mußte, bis sie plötzlich mit einem Ausruf des Entzückens Kotyledo um den Hals fiel.
    „Kotyledo“, rief sie, „mein Geliebter, wir sind gerettet, ich werde die Deine!“
    „Lyrika, was sagst du?“
    „Ja, Kotyledo! Funktionatas Rechnung ist wertlos, sie hat keine Geltung, denn ihre Annahmen sind falsch. Sie hat vorausgesetzt, daß unser gemeinschaftlicher Ahnherr gestorben ist. Er lebt aber noch, denn es ist kein anderer als der Rentier und Hausbesitzer Friedrich Wilhelm Schulze aus Berlin, den wir hier gesund und munter vor uns sitzen sehen.“
    Und sie fiel dem alten Herrn um den Hals, küßte ihn und nannte ihn „lieber Großpapa“, und er ließ sich alles wohlgemut gefallen. Sie waren bei Lyrikas Wohnung angekommen.
    „Morgen feiern wir unsere Vermählung“, sagte Kotyledo wieder. Diesmal hörte es Lyrika ohne Bangen vor der Zukunft.
    „Und fürchtest du dich nicht vor Atom?“ fragte Kotyledo sie.
    „Oh“, erwiderte sie, „jetzt bin ich ja wieder sichtbar, da wird er es nicht wagen, mir nahe zu kommen. Auch verlasse ich mein Haus nicht mehr, außer …“
    „Außer mit mir – um bei mir zu bleiben“, schloß Kotyledo.
     
    X  EINE HOCHZEITSREISE. ATOMS VULKAN
     
    Am frühen Morgen des folgenden Tages war in aller Stille vor dem dazu bestellten Beamten die Zeremonie vollzogen worden, welche Kotyledo und Lyrika für das Leben vereinte.
    Strudel und Schulze hatten als Zeugen gedient. Propion und Funktionata waren zwar von dem Vorgefallenen sofort benachrichtigt worden, hatten aber nur ihre Glückwünsche geschickt. Der Brauch erforderte, daß eine Festlichkeit im Kreise der Verwandten und Freunde nach Verlauf der zehnten Pentade, am fünfzigsten Tage nach der Hochzeit, gefeiert wurde; bis dahin war das junge Paar sich vollständig selbst überlassen, und niemand kümmerte sich um dasselbe.
    Schulze war Strudels dringender Einladung gefolgt, seinen Wohnsitz in seinem Hause aufzuschlagen, und Strudel bemühte sich mit rührender Sorgfalt, die altfränkischen Sitten des Wiedererstandenen zu modernisieren und ihn nach und nach mit den Vorteilen der Zivilisation des 39. Jahrhunderts bekannt zu machen. Ja, er brachte ihm sogar die Anfangsgründe des Fliegens bei, und gar zu gern hätte er Schulzes Gehirn in seinem Institut einer erziehenden Behandlung unterzogen, aber dazu hatte er den alten Herrn bis jetzt nicht bewegen können.
    Lyrika und Kotyledo traten nach der Trauung ihre Hochzeitsreise an. Ihr erstes Ziel sollten die herrlichen Gärten von Rampus im Tale des Satledsch auf den abhängen des Himalaja sein; es war dies einer der wenigen Orte der Erde, wo noch große Gartenanlagen gepflegt und erhalten wurden, und Kotyledo wünschte sehnlichst, diesen wundervollen Punkt Indiens seiner jungen Gattin zu zeigen. Auf dem Wege aber wollte er über Afghanistan fliegen und zum Zentraltunnel einen kurzen Halt machen, um Atom zur Rechenschaft zu ziehen.
    Atom war am Tage nach der verunglückten Jagd auf Lyrika in die Saphirgrotte zurückgekehrt und arbeitete an neuen Plänen, seine Absichten durchzuführen. Am Abend begab er sich wieder nach Deutschland und erfuhr hier von Propion die völlig umgestaltete Sachlage, die Auffindung Schulzes und die bevorstehende Vermählung Lyrikas. Damit waren seine Pläne zusammengestürzt. Bis jetzt hatte er bei all seinen rücksichtslosen Maßnahmen sich dadurch vor sich selbst entschuldigt, daß er nach den Gesetzen des Weltlaufs handele; daß Lyrika und Kotyledo kein Recht hätten, einander anzugehören, weil das Geschick ihre Vereinigung nicht wolle und mit Verderben bedrohe. Jetzt war es auf einmal klar, daß Funktionatas Rechnung ohne Bedeutung sei, daß der Heirat zwischen den Liebenden kein Grund aus Naturgesetzen entgegenzustellen sei. Den mächtigen Bundesgenossen, die Notwendigkeit, hatte Atom verloren – er hatte kein Recht mehr zu handeln, es sei denn aus dem unbezwingbaren Trieb seiner Leidenschaft und seines Egoismus heraus.
    Im Innersten gedemütigt und doch wieder gewillt, dem Schicksal sich nicht zu beugen, brachte Atom die Nacht unruhig zu. Am frühen Morgen flog er nach dem Zentraltunnel. Er wollte mit aller Kraft sich der Arbeit im Tunnel widmen – vielleicht kam ihm dabei ein Gedanke, was ihm noch zu tun bleibe, vielleicht konnte er sein aufgeregtes Gemüt beruhigen.
    Nach seiner Ankunft im Tunnel begab er sich auf das
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