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Leg dein Herz in meine Haende

Titel: Leg dein Herz in meine Haende
Autoren: Julia Garwood
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    Gottes Gnade und einem losen Schnürsenkel hatte sie es zu verdanken, dass sie an jenem Tag nicht mit den anderen starb. Sie betrat die Bank um Punkt zwei Uhr fünfundvierzig, um ihr Konto dort aufzulösen. Sie hatte damit absichtlich bis zur letzten Minute gewartet, weil die Erledigung dieser Aufgabe alles so endgültig machte. Danach gab es kein Zurück mehr. All ihre Sachen waren bereits verpackt, und bald würde sie Rockford Falls, Montana, verlassen. Für immer.
    Sie wusste, dass Sherman MacCorkle, der Bankdirektor, in fünfzehn Minuten die Türen schließen würde. Es herrschte großer Andrang in der Bank, doch trotz der vielen Kunden arbeiteten statt der gewohnten drei nur zwei Kassierer an den Schaltern. Emmeline MacCorkle, Shermans Tochter, war offenbar noch immer zu Hause, um sich von der Magen- und Darmgrippe zu erholen, die seit zwei Wochen in der friedlichen kleinen Stadt grassierte.
    Die Schlange vor Malcolm Wattersons Schalter war etwas kürzer als die andere, aber er war ein notorischer Schwätzer und würde ihr sicher Fragen stellen, auf die sie keine Antwort geben wollte.
    Zum Glück arbeitete heute jedoch auch Franklin Carroll. In seiner Reihe stellte sie sich an. Er war schnell und zuverlässig und mischte sich nie in die Privatangelegenheiten anderer Leute ein. Und außerdem war er ein Freund. Sie hatte sich bereits am Sonntag nach dem Gottesdienst von ihm verabschiedet, doch nun dachte sie, dass sie nichts dagegen hatte, es noch einmal zu tun.
    Sie hasste es zu warten. Ungeduldig klopfte sie mit der Fußspitze auf die alten Dielen, streifte ihre Handschuhe ab und zog sie wieder an. Bei jeder ihrer Bewegungen schwang der bestickte Beutel, der an einem Satinband um ihre Taille hing, vor und zurück. Er wirkte wie ein Pendel, das sich im monotonen Rhythmus des Tickens der Uhr bewegte, die an der Wand über den Schaltern hing.
    Der Mann vor ihr trat einen Schritt vor, aber sie blieb, wo sie war, um etwas Abstand zwischen sie zu bringen, weil sie den Geruch nach saurem Schweiß und Alkohol, der den Kleidern dieses Mannes anhaftete, schlicht unerträglich fand.
    Der Mann links von ihr in Malcolms Reihe lächelte sie an und entblößte dabei zwei große Zahnlücken. Um ihn nicht zu einer Unterhaltung zu ermutigen, nickte sie ihm nur flüchtig zu und richtete den Blick auf die Wasserflecken an der Decke.
    Es war schwül, stickig und schrecklich heiß im Raum. Sie konnte fühlen, wie sich Schweiß in ihrem Nacken sammelte, und zupfte am Kragen ihrer gestärkten weißen Bluse. Mit einem mitleidigen Blick auf Franklin fragte sie sich, wie die Angestellten den ganzen Tag in einer so dumpfen und erstickend heißen Atmosphäre arbeiten konnten. Sie wandte den Kopf nach rechts und starrte sehnsüchtig auf die drei geschlossenen Fenster. Der Sonnenschein, der durch die fleckigen Scheiben drang, warf helle Flecken auf den alten Holzboden und ließ Staubpartikel in der verbrauchten Luft flimmern. Wenn sie noch viel länger warten musste, würde sie Sherman MacCorkles Ärger riskieren und die Fenster öffnen ... Sie verwarf die Idee jedoch sofort wieder, weil ihr klar war, dass der Bankdirektor die Fenster gleich wieder schließen und ihr eine Predigt über Sicherheitsvorschriften halten würde. Außerdem würde sie dann ihren Platz in der Schlange verlieren.
    Endlich war sie an der Reihe. Sie trat so rasch vor, dass sie stolperte und mit dem Kopf gegen die Glasscheibe des Schalters stieß. Ihr Schuh war ihr entglitten. Sie schob den Fuß wieder hinein und spürte, wie die Lasche sich unter ihre Zehen schob. In dem kleinen Büro hinter den Kassierern, dessen Tür weit offen stand, war Sherman MacCorkles mürrisches Gesicht zu sehen. Er hörte die Geräusche und schaute von seinem Schreibtisch auf. Sie bedachte ihn mit einem schwachen Lächeln, bevor sie sich wieder Franklin zuwandte.
    »Mein Schnürsenkel hatte sich gelöst«, erklärte sie, um ihre Ungeschicklichkeit zu entschuldigen.
    Er nickte mitfühlend. »Alles bereit für Ihre Abfahrt?«
    »Fast«, wisperte sie, damit Malcolm, dieses Klatschmaul, sich nicht in ihr Gespräch einmischte. Er beugte sich bereits zu Frank herüber, und sie wusste, dass er begierig war, noch mehr zu hören.
    »Sie werden mir fehlen«, sagte Franklin leise.
    Das Geständnis trieb ihm die Röte in die Wangen. Franklins Schüchternheit war eine liebenswerte Eigenschaft, und als der große, dünne Mann jetzt schluckte, hüpfte sein übergroßer Adamsapfel auf und ab. Franklin war
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