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Traumkristalle

Traumkristalle

Titel: Traumkristalle
Autoren: Kurd Laßwitz
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ist. Vielleicht ein Spielzeug, jedoch zum Verständnis fehlt jeder Anhaltspunkt.
    Weil aber die Gelehrten keine Kinder sind und alles zu verstehen beanspruchen, würde es einen unendlichen Streit geben, wenn ich meine Lehre auskramen wollte. Gänzlich zwecklos, weil die Entscheidung über alle heutige Einsicht hinaus liegt. Würden mich auslachen – hm – Irrenhaus –“
    „Ganz gleich“, rief ich, „die Wahrheit zu verkünden ist Pflicht, und wenn ich auch das Martyrium der Verkennung auf mich nehmen müßte. Nur auf diesem Wege sind die Fortschritte der Kultur errungen worden. Bringe deine Beweise.“
    „Hm“, sagte der Onkel, „wenn aber die Beweise niemand verstehen kann? Wenn wir zwei verschiedene Sprachen reden? Dann endet der Streit damit, daß die Minorität totgeschlagen wird, physisch oder moralisch. Habe keine Lust dazu.“
    „Und trotzdem“, erwiderte ich kühn, „würde ich die Wahrheit bekennen, wenn ich die Beweise für mich in der Hand habe.“
    „Vor Unmündigen und Blinden – wie? Möchtest du’s probieren? Ja? Sieh dir mal das Ding an.“
    Onkel Wendel zog einen kleinen Apparat aus der Tasche. Ich erkannte einige Glasröhrchen in Metallfassung, mit Schrauben und feiner Skala. Er hielt mir die Röhrchen unter die Nase und begann zu drehen. Ich fühlte, daß ich etwas Ungewohntes einatmete.
    „Ah, wie schön die da ist!“ rief mein Knabe wieder, auf eine neue Seifenblase deutend, die langsam von der Fensterbrüstung herabschwebte.
    „Nun sieh dir mal die Seifenblase an“, sagte Onkel Wendel und drehte weiter.
    Mir schien es, als ob sich die Seifenblase sichtlich vergrößerte. Ich kam ihr näher und näher. Das Fenster mit dem Knaben, der Tisch, vor dem wir saßen, die Bäume des Gartens entfernten sich, wurden immer undeutlicher. Nur Onkel Wendel blieb neben mir; sein Röhrchen hatte er in die Tasche gesteckt. Jetzt war unsere bisherige Umgebung verschwunden. Wie eine mattweiße, riesige Glocke dehnte sich der Himmel über uns, bis er sich am Horizont verlor. Wir standen auf der spiegelnden Fläche eines weiten, gefrorenen Sees. Das Eis war glatt und ohne Spalten; dennoch schien es in einer leise wallenden Bewegung zu sein. Undeutliche Gestalten erhoben sich hie und da über die Fläche.
    „Was geht hier vor!“ rief ich erschrocken. „Wo sind wir? Trägt uns auch das Eis?“
    „Auf der Seifenblase sind wir“, sagte Onkel Wendel kaltblütig. „Was du für Eis hältst, ist die Oberfläche des zähen Wasserhäutchens, welches die Blase bildet. Weißt du, wie dick diese Schicht ist, auf der wir stehen? Nach menschlichem Maße gleich dem fünftausendsten Teile eines Zentimeters; fünfhundert solcher Schichten übereinandergelegt würden zusammen erst ein Millimeter betragen.“
    Unwillkürlich zog ich einen Fuß in die Höhe, als könnte ich mich dadurch leichter machen.
    „Um Himmelswillen, Onkel,“ rief ich, „treibe kein leichtsinniges Spiel! Sprichst du die Wahrheit?“
    „Ganz gewiß. Aber fürchte nichts. Für deine jetzige Größe entspricht dieses Häutchen an Festigkeit einem Stahlpanzer von 200 Meter Dicke. Wir haben uns nämlich mit Hilfe des Mikrogens in allen unseren Verhältnissen im Maßstabe von eins zu hundert Millionen verkleinert. Das macht, daß die Seifenblase, welche nach menschlichen Maßen einen Umfang von vierzig Zentimetern besitzt, jetzt für uns gerade so groß ist wie der Erdball für den Menschen.“
    „Und wie groß sind wir selbst?“ fragte ich zweifelnd.
    „Unsere Höhe beträgt den sechzigtausendsten Teil eines Millimeters. Auch mit dem schärfsten Mikroskop würde man uns nicht mehr entdecken.“
    „Aber warum sehen wir nicht das Haus, den Garten, die Meinigen – die Erde überhaupt?“
    „Sie sind unter unserm Horizont. Aber auch wenn die Erde für uns aufgehen wird, so wirst du doch nichts von ihr erkennen als einen matten Schein, denn alle optischen Verhältnisse sind infolge unserer Kleinheit so verändert, daß wir zwar in unserer jetzigen Umgebung völlig klar sehen, aber von unserer früheren Welt, deren physikalische Grundlagen hundertmillionenmal größer sind, gänzlich geschieden leben. Du mußt dich nun mit dem begnügen, was es auf der Seifenblase zu sehen gibt, und das ist genug.“
    „Und ich wundere mich nur“, fiel ich ein, „daß wir hier überhaupt etwas sehen, daß unsere Sinne unter den veränderten Verhältnissen ebenso wirken wie früher. Wir sind ja jetzt kleiner als die Länge einer Lichtwelle; die Moleküle
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