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Traumkristalle

Traumkristalle

Titel: Traumkristalle
Autoren: Kurd Laßwitz
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und allem, was darinnen ist, nach einer Viertelstunde auf dem direkten Wege zur Sonne befinden. Es wäre vielleicht gar nicht so übel, diese Reise anzutreten. Was habe ich eigentlich noch hier zu suchen? Und es wird sicherlich Leute geben, die mir guten Weg wünschen.“
    Seine Betrachtungen wurden durch ein Telegramm unterbrochen, welches vom Ausgange des Tunnels an ihn abgesandt wurde. Ein Herr sei eben angekommen und wünsche ihn in einer dringenden Angelegenheit sofort zu sprechen.
    Atom antwortete, es sei ihm unmöglich, die Arbeit zu verlassen, er ließe den Fremden bitten, ihn im Tunnel aufzusuchen.
    Weiter und weiter zischten die Röhren ihren Inhalt in den siedenden Abgrund. Atom sah sich nun doch genötigt, eine Röhre zu schließen, da der Druck zu groß zu werden drohte. Eine halbe Stunde verging, dann öffnete sich die Tür der Chresimdecke, und Kotyledo schwebte in die Arbeitskammer.
    Die Herren begrüßten sich förmlich.
    „Sie werden wissen“, begann Kotyledo, „was mich zu Ihnen führt. Meine Frau – Lyrika – erwartet mich in der Nähe des Tunnels. Ich ersuche Sie, mich zu begleiten und Ihr unverzeihliches Betragen von vorgestern vor ihr zu rechtfertigen.“
    „Und wenn ich mich weigere?“ fragte Atom.
    „Ich hoffe, daß Sie dies nicht tun werden. Ihre Handlungen und Ihre uns wohlbekannten Absichten sind straffällig. Wenn ich dieselben vor das öffentliche Gericht bringe, so werden Sie Ihrer bürgerlichen Stellung verlustig gehen.“
    „Das ist möglich“, sagte Atom, indem er seine Hand nachlässig auf den Haupthahn der Leitung legte.
    „Dies ist jedoch nicht meine Absicht“, fuhr Kotyledo fort. „Die Folgen jenes Tages sind, allerdings gegen Ihren Willen, für mich so außerordentlich glückliche gewesen, daß ich gern bereit bin, Milde walten zu lassen und Vergessen zu üben. Ich verlange nur, daß Sie sich dazu verstehen, meiner Frau gegenüber eine Versicherung abzugeben, daß Sie Ihre Handlungsweise bedauern und ihre Verzeihung erbitten.“
    „Sie sind allerdings sehr gütig“, entgegnete Atom scharf. „Ich sehe mich aber leider nicht in der Lage, Ihrem Wunsche zu entsprechen. Mein Verfahren war vorgestern noch berechtigt, vollständig berechtigt, nach allem menschlichen Ermessen. Ihre jetzige Frau existierte überhaupt nicht, und Sie werden mir zugeben, daß ein unbekanntes und unsichtbares Objekt als Gegenstand wissenschaftlicher Forschung von jedem in Anspruch genommen werden kann, der sich dessen zu bemächtigen imstande ist. Mir ist es leider nicht gelungen; Sie haben mehr Glück gehabt. Aber einen Grund, weshalb ich meine Handlungsweise entschuldigen sollte, kann ich nirgends erkennen.“
    „Ich rate Ihnen“, rief Kotyledo zornig, „mäßigen Sie den Ton Ihrer Rede. Sie werden sonst Ihre höhnenden Worte bereuen.“
    „Verehrter Herr Kotyledo, ich bereue überhaupt nichts.“
    „So werden die Gerichte entscheiden.“
    Atom lächelte. „Die Gerichte können entscheiden, aber Kläger und Verklagte werden sich nicht mehr darum kümmern. Sie müssen nämlich wissen, daß ich mit Ihnen eine kleinere Vergnügungsreise nach der Sonne anzutreten gedenke. Wenn ich diesen Hahn öffne, so werden die aus dem Erdinnern strömenden und aufgeregten Gase binnen einer Viertelstunde diesen Salon, in welchem wir uns befinden, gegen die Sonne sprengen. Ich werde jetzt den Hahn öffnen.“
    „Sie werden es nicht wagen.“
    „Ich habe es gewagt.“
    Die Gase zischten, die Platinplatten zitterten – es war ein Riesenkampf zwischen Kälte und Hitze, der hier gekämpft wurde und aus welchem die letztere als Siegerin hervorgehen mußte.
    Kotyledo begriff die volle Gefahr, in der er schwebte. Schon oben war er gewarnt worden, in den Tunnel zu steigen. Was sollte er tun – sich auf Atom stürzen? Die Hähne zudrehen? Es war nicht anzunehmen, daß er Sieger bleiben würde. Flucht, schleunige Flucht war das einzige, was ihn retten konnte – wenn es nicht schon zu spät war. Diese Überlegung war das Resultat eines Augenblickes. Er flog in die Höhe.
    „Nicht so“, rief Atom, „Sie bleiben hier.“ Und er sprang auf ihn zu. Aber da er seinen Flugapparat abgelegt hatte, konnte er Kotyledo nicht mehr erreichen, der schon an der Decke schwebte und jetzt den Arbeitsraum verließ, um mit größter Anstrengung seiner Maschine den Tunnelausgang zu gewinnen.
    „Noch entgehst du mir nicht“, murmelte Atom. „Zwanzig Minuten brauchst du wenigstens, um die vierzig Meilen des Tunnels zu
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